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Schubert, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 2. Abhandlung): Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38924#0033
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Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts. 33
III.
Mit der justinianeischen Lösung unseres Problems, die am
Schluß der antiken Entwicklung steht, mit der gregorianischen, in
die die mittelalterliche ausläuft, haben wir die beiden Typen ge-
wonnen: die Welt ein Staatskirchentum und die Welt ein Kirchen-
staatstum, die Herrschaft des weltlichen Rechts über das geistliche
und die Herrschaft des geistlichen über das weltlich-staatliche. Die
moderne Zeit, die mit dem 14. Jahrhundert aufdämmert, zeigt
gewiß ein Abklingen der extremen Gegensätze, strebt nach Aus-
gleich und ist erfüllt von Konkordaten; die riesenhaften Erschüt-
terungen eines Investiturstreits wiederholen sich nicht. Aber man
würde doch sehr in die Irre gehen, wollte man annehmen, daß die
Periode kampflos gewesen sei. In ermäßigter Form kann man die
alten Schwingungen wiederfinden, trotz der komplizierter gewor-
denen Welt des europäischen Staatensystems sogar einheitlicher
und klarer. So begann der Kreislauf von neuem, folgte auf die
gregorianische Periode wieder eine solche justinianeischen Gepräges,
in durchlaufender Linie unter dem neuen europäischen Protagoni-
sten Frankreich von Philipp dem Schönen bis Napoleon I., schlug
das Pendel gleich am Anfang so heftig nach der andern Seite
aus, daß man die wesentlichen und bleibenden Momente schon dort
ganz scharf zu erkennen vermag.
Niemand konnte, als das 14. Saeculum anbrach, ahnen, welcher
Ikarussturz dem siegreichen Papalismus unmittelbar bevorstand.
Canossa war gewiß für viele eine Überraschung gewesen; die größere
war sicher sein Widerspiel, als in der Morgendämmerung des 7. Sep-
tember 1303 eine Schar Bewaffneter in den päpstlichen Palast zu
Anagni eindrang und — nicht nur mit dem Rufe ,,es lebe das Haus
Colonna“, das wäre nichts Neues gewesen, sondern mit dem Rufe
,,es lebe Frankreich und das Haus Colonna“ — namens des Fran-
zosenkönigs Papst Bonifaz VIII. gefangen nahm, denselben, der
erst im Jahre zuvor die Seligkeit der Menschen in feierlichster Form
von der Anerkennung seiner unbedingten Oberhoheit auch über
die weltliche Gewalt abhängig gemacht hatte1. Die Höhe, die die
1 Schluß der Bulle Unam sanctam v. 18. Nov. 1302: Porro subesse
Romano pontifici omni hwnanae creaturae declaramus, cLicimus, diffinimus et
pronunciamus omnino esse de necessitate salutis, vgl. vorher: Spiritualem et
dignitate et nobilitate terrenam quamlibet praecellere potestatem oportet —• nos fateri
■—• spiritualis potestas terrenam potestatem instituere habet et iudicare si, bona
non fuerit — Uterque ergo (gladius) est in potestate ecclesiae —. Oportet autem

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad.. phil.-hist. Kl. 1926/27. 2. Abh.

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