Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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übermächtigen Kirche in alle Rechts- und Lebensverhältnisse, der
furchtbare Mißbrauch der kirchlichen Verwaltung, das Durchkreuzen
aller Entscheidungen durch die willkürlichen und selbstsüchtigen
Machtsprüche aus Rom wurden oben und unten im Volke als un-
gerecht, als unbillig empfunden, eben nicht als ewiges göttliches
vernünftiges und schriftgemäßes Recht, nicht als aequum, sondern
als in-iquuum, als Unbill, nicht als fas, sondern als nefas. Reim
niederen Volke war wie bei den Fürsten der Ruf nach wirklicher
Verweltlichung, d. h. nach Säkularisation, nach Übergabe der geist-
lichen und doch so ungeistlichen Rechte an Staat und Volk überaus
populär1.
Das sind die Gründe auf seiten der Kirche, die uns den Sieg
des Staatskirchentums erst völlig begreiflich machen, die immer
mit hinzuzudenken sind. Erst die einschneidenden Reformdekrete
des Rasier Konzils gaben Frankreich die Unterlage für die prag-
matische Sanktion von Bourges 1438; erst das Weiterleben der
Konstanzer Grundsätze in den französischen Parlamentsregistern
gab der französischen Krone die Handhabe, je und je an ein Konzil
zu appellieren2; erst der ganze kirchliche Wirrwarr im 15. Jahr-
hundert verlieh dem deutschen Kaiser wieder eine Bedeutung als
Schutzvogt der Kirche, und erst die Verbindung des Episkopalismus
mit dem Staat schuf das, was man Gallikanismus nennt. Weder
Ludwigs XIV. Kampf gegen die Kurie um seine Kronrechte im 17.,
noch Josephs II. radikale Kirchenreformen in Österreich im 18. Jahr-
hundert sind ohne diese Verbindung zu denken. Und umgekehrt.
Erst die dauernden Schwierigkeiten in den eigenen kirchlichen
Reihen erklären ganz, daß das neuerstandene Papsttum froh war,
mit den Fürsten auf dem Wege von Konkordaten wenigstens einen
Teil seiner Rechte zu retten, wenn es auch den Staat als Ober-
appellationsinstanz bei kirchlichem Mißbrauch und wenn es auch
das Placet, das ,,Es gefällt mir“ des Staates vor jedem seiner Er-
lasse an die Gläubigen hinnehmen mußte3. Die großen franzö-
1 Es genügt für Deutschland auf die erste revolutionäre Schrift hin-
zuweisen, die reformatio Sigismundi, die ca. 1438 in Südwestdeutschland ent-
standen und, weit verbreitet, ein einziger Schrei nach Neuordnung durch Tren-
nung des Geistlichen und Weltlichen ist.
2 Schon 1461 forderte Karl VII. unter Hinweis auf das in die pragmat.
Sanktion aufgenommene Decret Frequens (s. ob. S. 50, A. 1) Einberufung d. Kon-
zils, ebenso appellierte er dann wieder 1463, so Ludwig XII. 1499 und 1510 usw.
3 Vgl. Stutz, KR. § 89 (Das Staatskirchentum). Beides, das staatl.
Placet wie der Recursus ab abusu an den Staat stammen schon aus der vor-
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übermächtigen Kirche in alle Rechts- und Lebensverhältnisse, der
furchtbare Mißbrauch der kirchlichen Verwaltung, das Durchkreuzen
aller Entscheidungen durch die willkürlichen und selbstsüchtigen
Machtsprüche aus Rom wurden oben und unten im Volke als un-
gerecht, als unbillig empfunden, eben nicht als ewiges göttliches
vernünftiges und schriftgemäßes Recht, nicht als aequum, sondern
als in-iquuum, als Unbill, nicht als fas, sondern als nefas. Reim
niederen Volke war wie bei den Fürsten der Ruf nach wirklicher
Verweltlichung, d. h. nach Säkularisation, nach Übergabe der geist-
lichen und doch so ungeistlichen Rechte an Staat und Volk überaus
populär1.
Das sind die Gründe auf seiten der Kirche, die uns den Sieg
des Staatskirchentums erst völlig begreiflich machen, die immer
mit hinzuzudenken sind. Erst die einschneidenden Reformdekrete
des Rasier Konzils gaben Frankreich die Unterlage für die prag-
matische Sanktion von Bourges 1438; erst das Weiterleben der
Konstanzer Grundsätze in den französischen Parlamentsregistern
gab der französischen Krone die Handhabe, je und je an ein Konzil
zu appellieren2; erst der ganze kirchliche Wirrwarr im 15. Jahr-
hundert verlieh dem deutschen Kaiser wieder eine Bedeutung als
Schutzvogt der Kirche, und erst die Verbindung des Episkopalismus
mit dem Staat schuf das, was man Gallikanismus nennt. Weder
Ludwigs XIV. Kampf gegen die Kurie um seine Kronrechte im 17.,
noch Josephs II. radikale Kirchenreformen in Österreich im 18. Jahr-
hundert sind ohne diese Verbindung zu denken. Und umgekehrt.
Erst die dauernden Schwierigkeiten in den eigenen kirchlichen
Reihen erklären ganz, daß das neuerstandene Papsttum froh war,
mit den Fürsten auf dem Wege von Konkordaten wenigstens einen
Teil seiner Rechte zu retten, wenn es auch den Staat als Ober-
appellationsinstanz bei kirchlichem Mißbrauch und wenn es auch
das Placet, das ,,Es gefällt mir“ des Staates vor jedem seiner Er-
lasse an die Gläubigen hinnehmen mußte3. Die großen franzö-
1 Es genügt für Deutschland auf die erste revolutionäre Schrift hin-
zuweisen, die reformatio Sigismundi, die ca. 1438 in Südwestdeutschland ent-
standen und, weit verbreitet, ein einziger Schrei nach Neuordnung durch Tren-
nung des Geistlichen und Weltlichen ist.
2 Schon 1461 forderte Karl VII. unter Hinweis auf das in die pragmat.
Sanktion aufgenommene Decret Frequens (s. ob. S. 50, A. 1) Einberufung d. Kon-
zils, ebenso appellierte er dann wieder 1463, so Ludwig XII. 1499 und 1510 usw.
3 Vgl. Stutz, KR. § 89 (Das Staatskirchentum). Beides, das staatl.
Placet wie der Recursus ab abusu an den Staat stammen schon aus der vor-
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