Der Kampf des geistlichen und weltlichen Rechts.
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Angriff meidet, ja vom Staat und den Nichtkatholiken fast nicht
spricht — die Protestanten fallen unter den Begriff der excom-
municati tolerati —, stellt er sich als eine Rechtsordnung dar, die
nur das innere Leben der katholischen Kirche regeln will. Darüber
darf nicht übersehen werden, daß der alte Gegensatz in der Ehe-
gesetzgebung fortdauert, daß die staatliche Schulaufsicht der kirch-
lichen unterstellt wird, daß im Vermögens- und Strafrecht die ver-
langten Freiheiten unzweifelhafte Rechte des Staates berühren,
daß jede Geltendmachung staatlicher Hoheit bei der kirchlichen
Ämterbesetzung1 wie beim Verkehr mit Rom, und daß jeder Recursus
an den Staat ausgeschlossen wird.
Dies gemeine katholische Kirchenrecht trat als das einzige
wirkliche Weltrecht in dem Moment auf, da die alten Throne
stürzten, neue Mächte sich auftaten, alle Grenzen sich verschoben.
Es gestattete eine vollkommen sichere Hand bei der Lösung der
Aufgabe, in dieser neuen Welt die kirchlichen Interessen zu schützen,
z. B. bei der Beratung über unsere neue deutsche Reichsverfassung
von 1919, in der von irgendeinem staatlichen Einfluß auf die
Besetzung der Bischofsstühle nicht mehr die Rede ist. Und da, wo
die Landesverfassungen wie in Baden diesem Schweigen folgen, ist
rechtlich keine Möglichkeit gegeben zu verhindern, daß von Rom
ein deutscher Bischofssitz mit einem Ausländer besetzt wird. In dem
Kulturprogramm, das im zweiten Teile der Verfassung entwickelt
wurde, gelang es, Kompromißformen zu finden, die nichts preis-
geben und das letzte Wort offen lassen. Und überall folgte das
Bestreben, Konkordate abzuschließen, die sowohl den neuen poli-
tischen Verhältnissen, wie den neuen kirchlichen Fixierungen Rech-
nung tragen, der Form nach Verträge zweier Gleichberechtigter,
die in Wirklichkeit von ihrer Gleichberechtigung nicht überzeugt
sind2 *; so sind schon ein lettisches und polnisches Konkordat ent-
1 Gan. 329, 2: Episcopos libere nominat Rom. Pontifex, vgl. 331, 3.
2 Deshalb auf staatlicher Seite immer mit dem stillen Vorbehalt nach-
träglicher staatsgesetzlicher Korrektur geschlossen, auf kirchlicher mit dem
Vorbehalt, daß man für alle Fälle Apostelgesch. 5, 29 und das Naturrecht
hat, dessen theoretische Unbestimmtheit seinen praktischen Vorzug ausmacht,
eine schwungvoll elastische Brücke zwischen Religion und Recht, erbaut auf
dem Fundament antiker Philosophie und Jurisprudenz (ob.S.9, 13 f). Für die
Ablehnung der „vollen Koordination“, die sich „aus dem Wesen der Sache“
ergibt, weil die Kirche um ihres höheren Zweckes willen auch „die höhere
Gesellschaft“ ist, vgl. soeben (1927) Sägmüller, KR.4 S. 54; für die Argu-
mentation aus dem Naturrecht und noch häufiger „aus der Natur der Sache“
im neuen Codex, siehe Stutz S. 181 ff.
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Angriff meidet, ja vom Staat und den Nichtkatholiken fast nicht
spricht — die Protestanten fallen unter den Begriff der excom-
municati tolerati —, stellt er sich als eine Rechtsordnung dar, die
nur das innere Leben der katholischen Kirche regeln will. Darüber
darf nicht übersehen werden, daß der alte Gegensatz in der Ehe-
gesetzgebung fortdauert, daß die staatliche Schulaufsicht der kirch-
lichen unterstellt wird, daß im Vermögens- und Strafrecht die ver-
langten Freiheiten unzweifelhafte Rechte des Staates berühren,
daß jede Geltendmachung staatlicher Hoheit bei der kirchlichen
Ämterbesetzung1 wie beim Verkehr mit Rom, und daß jeder Recursus
an den Staat ausgeschlossen wird.
Dies gemeine katholische Kirchenrecht trat als das einzige
wirkliche Weltrecht in dem Moment auf, da die alten Throne
stürzten, neue Mächte sich auftaten, alle Grenzen sich verschoben.
Es gestattete eine vollkommen sichere Hand bei der Lösung der
Aufgabe, in dieser neuen Welt die kirchlichen Interessen zu schützen,
z. B. bei der Beratung über unsere neue deutsche Reichsverfassung
von 1919, in der von irgendeinem staatlichen Einfluß auf die
Besetzung der Bischofsstühle nicht mehr die Rede ist. Und da, wo
die Landesverfassungen wie in Baden diesem Schweigen folgen, ist
rechtlich keine Möglichkeit gegeben zu verhindern, daß von Rom
ein deutscher Bischofssitz mit einem Ausländer besetzt wird. In dem
Kulturprogramm, das im zweiten Teile der Verfassung entwickelt
wurde, gelang es, Kompromißformen zu finden, die nichts preis-
geben und das letzte Wort offen lassen. Und überall folgte das
Bestreben, Konkordate abzuschließen, die sowohl den neuen poli-
tischen Verhältnissen, wie den neuen kirchlichen Fixierungen Rech-
nung tragen, der Form nach Verträge zweier Gleichberechtigter,
die in Wirklichkeit von ihrer Gleichberechtigung nicht überzeugt
sind2 *; so sind schon ein lettisches und polnisches Konkordat ent-
1 Gan. 329, 2: Episcopos libere nominat Rom. Pontifex, vgl. 331, 3.
2 Deshalb auf staatlicher Seite immer mit dem stillen Vorbehalt nach-
träglicher staatsgesetzlicher Korrektur geschlossen, auf kirchlicher mit dem
Vorbehalt, daß man für alle Fälle Apostelgesch. 5, 29 und das Naturrecht
hat, dessen theoretische Unbestimmtheit seinen praktischen Vorzug ausmacht,
eine schwungvoll elastische Brücke zwischen Religion und Recht, erbaut auf
dem Fundament antiker Philosophie und Jurisprudenz (ob.S.9, 13 f). Für die
Ablehnung der „vollen Koordination“, die sich „aus dem Wesen der Sache“
ergibt, weil die Kirche um ihres höheren Zweckes willen auch „die höhere
Gesellschaft“ ist, vgl. soeben (1927) Sägmüller, KR.4 S. 54; für die Argu-
mentation aus dem Naturrecht und noch häufiger „aus der Natur der Sache“
im neuen Codex, siehe Stutz S. 181 ff.