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Heinrich Mitteis:
die früher durch politisch gefällte Werturteile vielfach verdunkelt
waren. Durch genaue Analyse bisher wenig beachteten Urkunden-
materials ist es Hans Hirsch1 gelungen, Zusammenhänge aufzu-
decken, an denen die Rechtsgeschichte künftig nicht Vorbeigehen
kann. Es wird jetzt gelingen, aus der scheinbar chaotischen inneren
Dynamik der Ereignisse eineReihe verfassungsgeschichtlich wichtiger
Strebungen und Erfolge herauszulösen, und so die ganze Zeit der
letzten Salier rechtsgeschichtlich zu verlebendigen. Dabei soll hier
noch nicht einmal in erster Linie von den großen Wandlungen auf
dem Gebiete der Kirchenpolitik die Rede sein, von der veränderten
Zielrichtung des Staatskirchenrechtes, die sich aus der Liquidation
des Investiturstreits mit Notwendigkeit ergeben mußte; obwohl
diese Vorgänge, wie Hirsch gezeigt hat, der eigentliche Urgrund
aller, auch der scheinbar auf ganz andern Gebieten liegenden Ver-
änderungen gewesen sind. Wohl aber bedarf es für unsre Zwecke
des Hinweises auf neue, grundlegende Gedanken in Gerichts-
verfassung, Strafrecht und Prozeß, die wieder alle irgendwie mit
den Friedensbestrebungen des Königtums Zusammenhängen. Auf
dem Gebiete der Gerichtsverfassung bahnt sich ein neuer Regriff
der hohen Gerichtsbarkeit an, der das Hauptgewicht nicht mehr
auf die finanzielle, sondern auf die kriminelle Seite der Jurisdiktion
legt2 und so die Gleichsetzung von Hochgericht und Blutgericht
vorbereitet. Im Strafrecht erleben wir das immer intensivere Vor-
dringen der peinlichen Strafe gegenüber dem amtsrechtlichen Kom-
positionssystem, dessen auf den Machtwillen der fränkischen Königs-
zeit gegründete Position immer mehr erschüttert wird3. Im Prozeß-
recht macht sich endlich bemerkbar die erneute Anknüpfung an
den urtümlichen Gedanken der Rache gegen den handhaften Täter;
und diese führt zu einer Verbreiterung des Tatbestands der Hand-
hafte und auf diesem Umweg zu einem neuen, auf Offizialverfolgung
1 Hans Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter,
Prag 1922; vgl. insbes. das Schlußkapitel S. 221 ff., wo der Yerf. die Ergeb-
nisse seiner nicht leicht zu übersehenden Darstellung zusammenfaßt. Vgl.
dazu R. His, ZRG. 43, 439ff.; Feiir, Deutsche Rechtsgesch.2, S. 371. Daß
noch nicht alle Rätsel gelöst sind, ist wohl anzunehmen. Die Rechtsgeschichte
wird noch lange Zeit brauchen, um die von Hirsch und seinen Vorgängern
ausgegangenen Anregungen organisch zu verarbeiten.
2 Hirsch 226, 233 usw.
3 Hirsch S. 13ff., 150ff., 227ff. E. Mayer, Dtsche u. franz. Verf.-
geschichte (1899) 1, 139: „Kriminalisierung des Strafrechts durch die Land-
frieden“.
Heinrich Mitteis:
die früher durch politisch gefällte Werturteile vielfach verdunkelt
waren. Durch genaue Analyse bisher wenig beachteten Urkunden-
materials ist es Hans Hirsch1 gelungen, Zusammenhänge aufzu-
decken, an denen die Rechtsgeschichte künftig nicht Vorbeigehen
kann. Es wird jetzt gelingen, aus der scheinbar chaotischen inneren
Dynamik der Ereignisse eineReihe verfassungsgeschichtlich wichtiger
Strebungen und Erfolge herauszulösen, und so die ganze Zeit der
letzten Salier rechtsgeschichtlich zu verlebendigen. Dabei soll hier
noch nicht einmal in erster Linie von den großen Wandlungen auf
dem Gebiete der Kirchenpolitik die Rede sein, von der veränderten
Zielrichtung des Staatskirchenrechtes, die sich aus der Liquidation
des Investiturstreits mit Notwendigkeit ergeben mußte; obwohl
diese Vorgänge, wie Hirsch gezeigt hat, der eigentliche Urgrund
aller, auch der scheinbar auf ganz andern Gebieten liegenden Ver-
änderungen gewesen sind. Wohl aber bedarf es für unsre Zwecke
des Hinweises auf neue, grundlegende Gedanken in Gerichts-
verfassung, Strafrecht und Prozeß, die wieder alle irgendwie mit
den Friedensbestrebungen des Königtums Zusammenhängen. Auf
dem Gebiete der Gerichtsverfassung bahnt sich ein neuer Regriff
der hohen Gerichtsbarkeit an, der das Hauptgewicht nicht mehr
auf die finanzielle, sondern auf die kriminelle Seite der Jurisdiktion
legt2 und so die Gleichsetzung von Hochgericht und Blutgericht
vorbereitet. Im Strafrecht erleben wir das immer intensivere Vor-
dringen der peinlichen Strafe gegenüber dem amtsrechtlichen Kom-
positionssystem, dessen auf den Machtwillen der fränkischen Königs-
zeit gegründete Position immer mehr erschüttert wird3. Im Prozeß-
recht macht sich endlich bemerkbar die erneute Anknüpfung an
den urtümlichen Gedanken der Rache gegen den handhaften Täter;
und diese führt zu einer Verbreiterung des Tatbestands der Hand-
hafte und auf diesem Umweg zu einem neuen, auf Offizialverfolgung
1 Hans Hirsch, Die hohe Gerichtsbarkeit im deutschen Mittelalter,
Prag 1922; vgl. insbes. das Schlußkapitel S. 221 ff., wo der Yerf. die Ergeb-
nisse seiner nicht leicht zu übersehenden Darstellung zusammenfaßt. Vgl.
dazu R. His, ZRG. 43, 439ff.; Feiir, Deutsche Rechtsgesch.2, S. 371. Daß
noch nicht alle Rätsel gelöst sind, ist wohl anzunehmen. Die Rechtsgeschichte
wird noch lange Zeit brauchen, um die von Hirsch und seinen Vorgängern
ausgegangenen Anregungen organisch zu verarbeiten.
2 Hirsch 226, 233 usw.
3 Hirsch S. 13ff., 150ff., 227ff. E. Mayer, Dtsche u. franz. Verf.-
geschichte (1899) 1, 139: „Kriminalisierung des Strafrechts durch die Land-
frieden“.