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Heinrich Mitteis:
Königsthron bestieg, war die „angevinische Umklammerung“ des
französischen Königtums eine vollendete Tatsache. Es fragt sich
für uns, auf welchem Wege Ludwig diesem Unheil Einhalt gebot;
es liegt nahe anzunehmen, daß die Heirat Eleonorens ihm den Anlaß
dazu gab, auf dem Wege des Prozesses gegen Heinrich von Anjou,
den Vasallen der französischen Krone, vorzugehen. Freilich haben
wir dafür in den Quellen nur schwache Anhaltspunkte. Der einzige
Bericht, der etwas derartiges zu enthalten scheint, ist der anonyme
Traktat ,,De giorioso rege Ludovico Ludovici filio“, den Molinier
unter dem Titel einer Histoire du roi Louis VII. als eine Art Fort-
setzung der Sugerschen Chronik publiziert hat. Hier heißt es1:
Siquidem Henricus, Normanniae per manum regis dux effectus,
ultra modum superbiens, ante dominum regem Ludovicum defecit
a justicia. Quamobrem rex, ad iram nimium concitatus, tantam
indignationem graviter sustinens, cum magno exercitu Vernonum pro-
fectus est2....
Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die hierin einen Prozeß-
bericht anzuerkennen sich scheuen. Ferdinand Lot, der in seinem
noch öfters zu nennenden Buche „Fideles ou vassaux3?“ die
Frage am eingehendsten untersucht hat, kommt p. 211 ss. zu dem
Ergebnis, -daß mit defecit a justicia nicht die gerichtliche Säumnis
gemeint sein könne; diese Phrase könne sich nur auf ein dem
Herrn zugefügtes materielles Unrecht beziehen. Er argumentiert
insbesondere aus der Baschheit, mit der Ludwig VII. kaum einen
Monat, nachdem man am französischen Hofe von der zweiten Ehe-
schließung Eleonores (18. Mai 1152) Kenntnis erhalten haben
konnte, bereits militärische Aktionen gegen Heinrich einleitete;
seiner Ansicht nach ließen sich die erforderlichen langfristigen
Ladungen im Intervall nicht unterbringen. Von einem materiellen
1 Coli, des textes IV, p. 162.
2 Eine andere Quelle, die Gesta Ludovici VII., bringen freilich mehr.
Dort heißt es (c. 28, ed. A. Duciiesne, Historiae Francorum scriptores coetanei
IV, 410): qui citatus ad curiam venire noluit ad jus jaciendum vel capiendum
in regis praesentia, palatii judicium omnino respuit et contempsit. Doch hat
schon Waitz, Über die Gesta und Iiistoria Ludovici VII, Neues Arch. VI,
S. 119ff., diese Quelle als unverwendbare Kompilation des 13.Jhdts. bezeichnet.
Vgl. Molinier p. XXXII der zit. Ausgabe.
3 Essai sur la nature juridique du lieu qui unissait les grands Vassaux ä
Ja Royaute depuis le milieu du IXe jusqu’ä la fin du XIIe siede, Paris 1904
(these de doctorat). Über die Tendenz des Buches s. u. S. 86 A. 4.
Heinrich Mitteis:
Königsthron bestieg, war die „angevinische Umklammerung“ des
französischen Königtums eine vollendete Tatsache. Es fragt sich
für uns, auf welchem Wege Ludwig diesem Unheil Einhalt gebot;
es liegt nahe anzunehmen, daß die Heirat Eleonorens ihm den Anlaß
dazu gab, auf dem Wege des Prozesses gegen Heinrich von Anjou,
den Vasallen der französischen Krone, vorzugehen. Freilich haben
wir dafür in den Quellen nur schwache Anhaltspunkte. Der einzige
Bericht, der etwas derartiges zu enthalten scheint, ist der anonyme
Traktat ,,De giorioso rege Ludovico Ludovici filio“, den Molinier
unter dem Titel einer Histoire du roi Louis VII. als eine Art Fort-
setzung der Sugerschen Chronik publiziert hat. Hier heißt es1:
Siquidem Henricus, Normanniae per manum regis dux effectus,
ultra modum superbiens, ante dominum regem Ludovicum defecit
a justicia. Quamobrem rex, ad iram nimium concitatus, tantam
indignationem graviter sustinens, cum magno exercitu Vernonum pro-
fectus est2....
Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die hierin einen Prozeß-
bericht anzuerkennen sich scheuen. Ferdinand Lot, der in seinem
noch öfters zu nennenden Buche „Fideles ou vassaux3?“ die
Frage am eingehendsten untersucht hat, kommt p. 211 ss. zu dem
Ergebnis, -daß mit defecit a justicia nicht die gerichtliche Säumnis
gemeint sein könne; diese Phrase könne sich nur auf ein dem
Herrn zugefügtes materielles Unrecht beziehen. Er argumentiert
insbesondere aus der Baschheit, mit der Ludwig VII. kaum einen
Monat, nachdem man am französischen Hofe von der zweiten Ehe-
schließung Eleonores (18. Mai 1152) Kenntnis erhalten haben
konnte, bereits militärische Aktionen gegen Heinrich einleitete;
seiner Ansicht nach ließen sich die erforderlichen langfristigen
Ladungen im Intervall nicht unterbringen. Von einem materiellen
1 Coli, des textes IV, p. 162.
2 Eine andere Quelle, die Gesta Ludovici VII., bringen freilich mehr.
Dort heißt es (c. 28, ed. A. Duciiesne, Historiae Francorum scriptores coetanei
IV, 410): qui citatus ad curiam venire noluit ad jus jaciendum vel capiendum
in regis praesentia, palatii judicium omnino respuit et contempsit. Doch hat
schon Waitz, Über die Gesta und Iiistoria Ludovici VII, Neues Arch. VI,
S. 119ff., diese Quelle als unverwendbare Kompilation des 13.Jhdts. bezeichnet.
Vgl. Molinier p. XXXII der zit. Ausgabe.
3 Essai sur la nature juridique du lieu qui unissait les grands Vassaux ä
Ja Royaute depuis le milieu du IXe jusqu’ä la fin du XIIe siede, Paris 1904
(these de doctorat). Über die Tendenz des Buches s. u. S. 86 A. 4.