Politische Prozesse.
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konnten vielleicht beanspruchen, bei einer Neuverleihung berück-
sichtigt zu werden, oder genauer gesagt, sie konnten sich auf einen
ihnen gegenüber bestehenden Zwang zum lehnrechtlichen Vertrags-
schlusse berufen.
So wichtig nun dieser Satz ganz augenscheinlich für die ganze
Verfassungsgeschichte ist, so wenig hat man bisher seine histo-
rischen und juristischen Grundlagen feststellen können. Ficker1
geht unbedenklich davon aus, daß er auf die frühesten Zeiten
zurückgehe, daß er m. a. W. schon vor der Ausbildung eines syste-
matischen Lehnrechts bestanden haben müsse. Wir dürften dann
weiter folgern, daß es eben dieser Satz vom Leihezwang war, der
dem deutschen Lehnrecht gerade an der entscheidenden Stelle, an
der Spitze der Lehnspyramide, Abbruch tat, der ihm einen Zug
von kariöser Weichheit verlieh, wo ein ausgebildetes Lehnssystem,
wie das französische oder englische, gerade Wirkungsmöglichkeiten
in höchster Potenz besaß. Das deutsche Lehnrecht wäre demnach
seiner Struktur nach in viel geringerem Maße befähigt gewesen, als
Element der Machtpolitik zu dienen, als das französische. Es wäre
nichts verkehrter, als dem Lehnrecht als solchem die Schuld an
den späteren politischen Zuständen Deutschlands zu geben: ver-
dankten doch Frankreich und England demselben Lehnrecht ihre
staatliche Einheit. Nur gerade dieser eine, spezifisch deutsche
Wesenszug, eher eine Abschwächnng als eine „Überspannung“2 des
Lehnrechts, wäre dafür verantwortlich zu machen.
Über diese Dinge läßt sich heute noch nicht mit voller Sicher-
heit urteilen, weil wir uns erst in den Anfängen einer neuen, gerech-
teren Würdigung von Lehnsstaat und Lehnrecht, geradezu einer
Rehabilitierung, befinden. Es ist dem Lehnrecht nichts schlechter
bekommen, als daß es bis vor kurzem geltendes Recht in Deutsch-
land war, ja, in gewisser Beziehung noch geltendes Recht ist und
zwar Privatrecht3. Durch die Überführung des Lehnrechts in die
Materien des deutschen Privatrechts ist der Blickpunkt für seine
Beurteilung wesentlich verschoben worden und eine gewisse tenden-
ziöse Einstellung von Rechtshistorikern, die Kinder eines wirt-
schaftsliberalen Zeitalters waren, hat ein übriges getan, um das
Interesse von diesem einstmals so hochkultivierten Rechtsgebiete
1 A. a. O., S. 132.
2 S. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte (1905), S. 143.
3 Vgl. Anschütz, Gutachten über das Thronlehen Oels (oben S. 6 A. 2),
S. 5ff.
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konnten vielleicht beanspruchen, bei einer Neuverleihung berück-
sichtigt zu werden, oder genauer gesagt, sie konnten sich auf einen
ihnen gegenüber bestehenden Zwang zum lehnrechtlichen Vertrags-
schlusse berufen.
So wichtig nun dieser Satz ganz augenscheinlich für die ganze
Verfassungsgeschichte ist, so wenig hat man bisher seine histo-
rischen und juristischen Grundlagen feststellen können. Ficker1
geht unbedenklich davon aus, daß er auf die frühesten Zeiten
zurückgehe, daß er m. a. W. schon vor der Ausbildung eines syste-
matischen Lehnrechts bestanden haben müsse. Wir dürften dann
weiter folgern, daß es eben dieser Satz vom Leihezwang war, der
dem deutschen Lehnrecht gerade an der entscheidenden Stelle, an
der Spitze der Lehnspyramide, Abbruch tat, der ihm einen Zug
von kariöser Weichheit verlieh, wo ein ausgebildetes Lehnssystem,
wie das französische oder englische, gerade Wirkungsmöglichkeiten
in höchster Potenz besaß. Das deutsche Lehnrecht wäre demnach
seiner Struktur nach in viel geringerem Maße befähigt gewesen, als
Element der Machtpolitik zu dienen, als das französische. Es wäre
nichts verkehrter, als dem Lehnrecht als solchem die Schuld an
den späteren politischen Zuständen Deutschlands zu geben: ver-
dankten doch Frankreich und England demselben Lehnrecht ihre
staatliche Einheit. Nur gerade dieser eine, spezifisch deutsche
Wesenszug, eher eine Abschwächnng als eine „Überspannung“2 des
Lehnrechts, wäre dafür verantwortlich zu machen.
Über diese Dinge läßt sich heute noch nicht mit voller Sicher-
heit urteilen, weil wir uns erst in den Anfängen einer neuen, gerech-
teren Würdigung von Lehnsstaat und Lehnrecht, geradezu einer
Rehabilitierung, befinden. Es ist dem Lehnrecht nichts schlechter
bekommen, als daß es bis vor kurzem geltendes Recht in Deutsch-
land war, ja, in gewisser Beziehung noch geltendes Recht ist und
zwar Privatrecht3. Durch die Überführung des Lehnrechts in die
Materien des deutschen Privatrechts ist der Blickpunkt für seine
Beurteilung wesentlich verschoben worden und eine gewisse tenden-
ziöse Einstellung von Rechtshistorikern, die Kinder eines wirt-
schaftsliberalen Zeitalters waren, hat ein übriges getan, um das
Interesse von diesem einstmals so hochkultivierten Rechtsgebiete
1 A. a. O., S. 132.
2 S. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte (1905), S. 143.
3 Vgl. Anschütz, Gutachten über das Thronlehen Oels (oben S. 6 A. 2),
S. 5ff.