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Heinrich Mitteis:
als einer Art von Ministerialität nicht weiter Boden gewann. Vol-
lends widerlegt wird sie in einer 1915 erschienenen Leipziger Disser-
tation von Dora Zeglin.
Aber noch immer war nichts Sicheres ermittelt über den Ur-
sprung dieses Rechtsinstituts. Und da trifft es sich besonders
glücklich, daß vor ganz kurzer Zeit die Heidelberger Dissertation
eines im praktischen Verwaltungsdienst stehenden Juristen1, der
sich jahrzehntelang mit Lehnrecht und Urkundenforschung befaßt
hat, denVersuch unternimmt, auf der Grundlage sorgfältiger sprach-
licher und sachlicher Untersuchungen das Ligesse-Rätsel zu lösen.
Zunächst ergibt sich dem Verfasser dieser Arbeit, daß das Wort
ligius rein sprachlich weder aus dem Lateinischen (etwa ligare)
noch aus einem westdeutschen Wort (etwa litus oder leudis) mög-
lich ist. Damit fällt schon die Hauptstütze für die Hypothese, daß
der homo ligius ein einfacher Untertan oder ein Unfreier gewesen
ist. Vielmehr kann als Urform des Wortes ligius nur ein altnordi-
sches lidu.gr = frei, ledig gewesen sein. Die Verpflanzung dieses
Wortes nach Frankreich aber ist am zwanglosesten durch die Nor-
mannen zu erklären. Auch sachlich paßt die ganze Einrichtung
des ligischen Lehnsverhältnisses mit seiner unbedingten Mannen-
treue nicht in eine auf Landbesitz beruhende Rechtskultur, sondern
viel eher in die Zustände der auf dauernden Kriegs- und Eroberungs-
zügen lebenden Normannen2. Dort hielt sich die altgermanische
Gefolgschaft am längsten, länger seihst als im skandinavischen
Stammland, wo lidugr nicht terminus technicus ist. In der den
Franken abgewonnenen Normandie verschmolz nun dies Gefolg-
schaftsverhältnis mit dem fränkischen Lehnswesen, drückte ihm
aber dabei seinen stark persönlichen Charakter auf. Nach Poehl-
mann ist dann eine bewußte, vom Königtum geförderte Rezeption
dieser normannischen Rechtseinrichtung nach Frankreich erfolgt ;
in der Tat ist dort das homagium ligium nicht vor der Mitte des
11. Jahrhunderts nachweisbar. Von Frankreich verbreitete es sich
weiter nach Westdeutschland und dem Orient; die Normannen
selbst brachten es nach Unteritalien und England.
1 Carl Poehlmann (Oberregierungsrat in Zweibrücken), Das ligische
Lehnsverhältnis (Heidelberger Diss. 1924). Die Arbeit ist leider noch un-
gedruckt. Doch hat der Verf. auf meine Bitten die Hauptergebnisse zusammen-
gefaßt in einer Miszelle, die soeben in ZRG. G.A. 47, 678ff., erscheint.
Herr Kolk Feine stellte mir die Druckbogen freundlichst zur Verfügung.
2 Poehlmann bringt lidugr mit led „Gang, Wanderung“ zusammen
Danach wäre es der Gefolgsmann auf einer kriegerischen Unternehmung.
Heinrich Mitteis:
als einer Art von Ministerialität nicht weiter Boden gewann. Vol-
lends widerlegt wird sie in einer 1915 erschienenen Leipziger Disser-
tation von Dora Zeglin.
Aber noch immer war nichts Sicheres ermittelt über den Ur-
sprung dieses Rechtsinstituts. Und da trifft es sich besonders
glücklich, daß vor ganz kurzer Zeit die Heidelberger Dissertation
eines im praktischen Verwaltungsdienst stehenden Juristen1, der
sich jahrzehntelang mit Lehnrecht und Urkundenforschung befaßt
hat, denVersuch unternimmt, auf der Grundlage sorgfältiger sprach-
licher und sachlicher Untersuchungen das Ligesse-Rätsel zu lösen.
Zunächst ergibt sich dem Verfasser dieser Arbeit, daß das Wort
ligius rein sprachlich weder aus dem Lateinischen (etwa ligare)
noch aus einem westdeutschen Wort (etwa litus oder leudis) mög-
lich ist. Damit fällt schon die Hauptstütze für die Hypothese, daß
der homo ligius ein einfacher Untertan oder ein Unfreier gewesen
ist. Vielmehr kann als Urform des Wortes ligius nur ein altnordi-
sches lidu.gr = frei, ledig gewesen sein. Die Verpflanzung dieses
Wortes nach Frankreich aber ist am zwanglosesten durch die Nor-
mannen zu erklären. Auch sachlich paßt die ganze Einrichtung
des ligischen Lehnsverhältnisses mit seiner unbedingten Mannen-
treue nicht in eine auf Landbesitz beruhende Rechtskultur, sondern
viel eher in die Zustände der auf dauernden Kriegs- und Eroberungs-
zügen lebenden Normannen2. Dort hielt sich die altgermanische
Gefolgschaft am längsten, länger seihst als im skandinavischen
Stammland, wo lidugr nicht terminus technicus ist. In der den
Franken abgewonnenen Normandie verschmolz nun dies Gefolg-
schaftsverhältnis mit dem fränkischen Lehnswesen, drückte ihm
aber dabei seinen stark persönlichen Charakter auf. Nach Poehl-
mann ist dann eine bewußte, vom Königtum geförderte Rezeption
dieser normannischen Rechtseinrichtung nach Frankreich erfolgt ;
in der Tat ist dort das homagium ligium nicht vor der Mitte des
11. Jahrhunderts nachweisbar. Von Frankreich verbreitete es sich
weiter nach Westdeutschland und dem Orient; die Normannen
selbst brachten es nach Unteritalien und England.
1 Carl Poehlmann (Oberregierungsrat in Zweibrücken), Das ligische
Lehnsverhältnis (Heidelberger Diss. 1924). Die Arbeit ist leider noch un-
gedruckt. Doch hat der Verf. auf meine Bitten die Hauptergebnisse zusammen-
gefaßt in einer Miszelle, die soeben in ZRG. G.A. 47, 678ff., erscheint.
Herr Kolk Feine stellte mir die Druckbogen freundlichst zur Verfügung.
2 Poehlmann bringt lidugr mit led „Gang, Wanderung“ zusammen
Danach wäre es der Gefolgsmann auf einer kriegerischen Unternehmung.