Politische Prozesse.
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Die Richtigkeit dieser immerhin sehr einleuchtenden Aufstel-
lungen vorausgesetzt, würden wir hier ein neues Beispiel für die
eminente Bedeutung des normannischen Rechtslebens für die
europäische Rechtsgeschichte vor uns haben. Jedenfalls aber wird
man sagen können, daß das französische Lehnrecht durch die Über-
pflanzung der normannischen Ligesse in entscheidender Stunde
neue Impulse empfing; diese wirkten sich aus als eine Rückbildung
zu älteren Formen der Vasallität, als eine Auffrischung des persön-
lichen Treubandes, die eine Gegenkraft gegen die allzu radikale
Verdinglichung zu bilden geeignet war.
Es konnte nicht die Aufgabe Poehlmanns sein, der ja wesent-
lich nur eine Erklärung für einen im westdeutschen Urkunden-
material häufigen Ausdruck suchte, die ganze Tragweite der ver-
fassungsgeschichtlichen Probleme, die sich möglicherweise an den
Begriff der Ligesse knüpfen, in den Kreis seiner Betrachtungen
einzubeziehen. Auch hier, im Schlußwort einer Arbeit, die sich in
ihrem Hauptteil mit ganz andern Dingen befaßt, kann nur kurz
darauf hingewiesen werden. Es kann aber schon jetzt gesagt wer-
den, daß wenn einmal jene auf Vergleichung aufbauende Ermitt-
lung der Wesenszüge des deutschen und französischen Lehnrechts
unternommen wird, dem Institut der Ligesse eine recht erhebliche
Rolle dabei zufallen wird. Sie vermag in weitem Maße begreiflich
zu machen, warum sich in Frankreich keine Parallele zu dem Leihe-
zwang in seiner deutschen Ausgestaltung bilden konnte. Ganz
scheint ja auch die Ligesse das Aufkommen eines Leihezwanges
nicht haben verhindern können; denn ein beschränkter Leihe-
zwang zugunsten gewisser nahe Anverwandter könnte nach unsern
oben getroffenen Feststellungen immerhin aus den Quellen heraus-
gelesen werden. Aber dies läßt sich ohne weiteres erklären aus der
Vererblichkeit des persönlichen Lehnsbandes; von da ist noch ein
weiter Schritt zum unbeschränkten, weil in der Natur des Lelms
als solchem liegenden, Leihezwang deutscher Prägung. Es scheint,
als habe das französische Königtum eine zielbewußtere Rechts-
politik getrieben als das deutsche, indem es die großen Vasallen
durch stärkere Bande an sich zu ketten wußte.
Damit ist schon ein Schritt nach vorwärts getan. Es ist zu-
nächst auf dem Boden des Lehnrechts erklärt, woher die verschie-
dene Intensität in der Ausgestaltung der letzten lehnrechtlichen
Machtmittel ihren Ursprung nahm; wie es kommen konnte, daß
das deutsche Lehnrecht Einflüssen von außen her stärker zugäng-
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Die Richtigkeit dieser immerhin sehr einleuchtenden Aufstel-
lungen vorausgesetzt, würden wir hier ein neues Beispiel für die
eminente Bedeutung des normannischen Rechtslebens für die
europäische Rechtsgeschichte vor uns haben. Jedenfalls aber wird
man sagen können, daß das französische Lehnrecht durch die Über-
pflanzung der normannischen Ligesse in entscheidender Stunde
neue Impulse empfing; diese wirkten sich aus als eine Rückbildung
zu älteren Formen der Vasallität, als eine Auffrischung des persön-
lichen Treubandes, die eine Gegenkraft gegen die allzu radikale
Verdinglichung zu bilden geeignet war.
Es konnte nicht die Aufgabe Poehlmanns sein, der ja wesent-
lich nur eine Erklärung für einen im westdeutschen Urkunden-
material häufigen Ausdruck suchte, die ganze Tragweite der ver-
fassungsgeschichtlichen Probleme, die sich möglicherweise an den
Begriff der Ligesse knüpfen, in den Kreis seiner Betrachtungen
einzubeziehen. Auch hier, im Schlußwort einer Arbeit, die sich in
ihrem Hauptteil mit ganz andern Dingen befaßt, kann nur kurz
darauf hingewiesen werden. Es kann aber schon jetzt gesagt wer-
den, daß wenn einmal jene auf Vergleichung aufbauende Ermitt-
lung der Wesenszüge des deutschen und französischen Lehnrechts
unternommen wird, dem Institut der Ligesse eine recht erhebliche
Rolle dabei zufallen wird. Sie vermag in weitem Maße begreiflich
zu machen, warum sich in Frankreich keine Parallele zu dem Leihe-
zwang in seiner deutschen Ausgestaltung bilden konnte. Ganz
scheint ja auch die Ligesse das Aufkommen eines Leihezwanges
nicht haben verhindern können; denn ein beschränkter Leihe-
zwang zugunsten gewisser nahe Anverwandter könnte nach unsern
oben getroffenen Feststellungen immerhin aus den Quellen heraus-
gelesen werden. Aber dies läßt sich ohne weiteres erklären aus der
Vererblichkeit des persönlichen Lehnsbandes; von da ist noch ein
weiter Schritt zum unbeschränkten, weil in der Natur des Lelms
als solchem liegenden, Leihezwang deutscher Prägung. Es scheint,
als habe das französische Königtum eine zielbewußtere Rechts-
politik getrieben als das deutsche, indem es die großen Vasallen
durch stärkere Bande an sich zu ketten wußte.
Damit ist schon ein Schritt nach vorwärts getan. Es ist zu-
nächst auf dem Boden des Lehnrechts erklärt, woher die verschie-
dene Intensität in der Ausgestaltung der letzten lehnrechtlichen
Machtmittel ihren Ursprung nahm; wie es kommen konnte, daß
das deutsche Lehnrecht Einflüssen von außen her stärker zugäng-