30
Gerhard Ritter:
Gründen der heiligen Schrift überführt, im übrigen nur medi-
zinische Dinge und die Frage des Laienkelches mit ihm erörtert
haben. Was seine Schriften an oppositionellen Ideen enthalten,
sprengt doch eigentlich nicht den Rahmen dessen, was gewisser-
maßen als Gemeingut aller spätmittelalterlichen Oppositionsliteratur
zu gelten hat und trägt nirgends, soviel ich sehe, spezifisch hussi-
tische Farbe (es sei denn die Zulassung desLaienkelches, B l)1.
Sicherlich wäre es also unrichtig, ihn einen Schüler der Hussiten
zu nennen; er selber hielt sich bis zuletzt (anscheinend sogar noch
während der Verbrennung seiner Schriften!) für einen gutkatho-
lischen Christen, der freilich in einzelnen Punkten der geltenden
Kirchenlehre widersprochen habe — nicht für einen Abtrünnigen.
Solange wir nichts Näheres über die Absichten wissen, die ihn zu
seinem verhängnisvollen Schreiben an den „Häresiarchen der
Böhmen“ führten2, bleibt die Möglichkeit offen, daß er einfach das
gutgläubige Opfer eines böhmischen Abenteurers3 geworden ist, der
an ihm eine Eroberung machen wollte und ihn über die Verwandt-
1 Der G. 1. m. 6993 enthält auf fol. 239a—269a eine ausführliche Wider-
legung von 47 articuli Johannis Wikleff, 30 articuli Joh. Huß Bohemi und 20
articuli erronei cuiusdam Bohemi alterius a Johanne Huß in quodam tractatu
ab eodem composito contenti, verfaßt von einem der Ketzerrichter Wesels, dem
Heidelberger Theologen Nik. von Wachenheym (undatiert; die Angabe des
Schmelle/-sehen Kataloges „1484“ beruht auf dem Mißverständnis einer spä-
teren Eintragung fol. 238k) Auf den Ketzerprozeß Wesels wird in diesen
reprobaciones nirgends Bezug genommen. Die hier aufgeführten Artikel be-
schäftigen sich fast durchweg mit Gedanken, die Wesel fernlagen (Kirche der
Praedestinieten; Vernichtung aller geistlichen Autorität und Funktion durch
Todsünde des Priesters; Verdammung alles weltlichen Kirchenbesitzes und
aller Mönchsorden als solcher; Leugnung der Transsubstantiation; Priesteramt
der Laien u. v. a. m.). An Weselsche Thesen klingen nur ganz von ferne ein
paar vereinzelte Sätze an (Recht des Volkes, unbrauchbare Obern zu korri-
gieren; der Papst ist nicht Christi echter Stellvertreter und Petri Nachfolger;
es gibt keinen vicarius Christi und keinen summus pontifex; decretales sunt
epistole apocrise et seductive a fide Christi; fatuum est credere indulgentiis;
Petrus non est nec fuit caput ecclesie katholice; obediencia ecclesiastica ist
Menschenerfindung, nicht Bibelgebot; prelatis ecclesie non est obediendum nisi
in ewangeliis dumtaxat preceptis; prelati ecclesie non habent potestatem pro-
hibendi nubere vel jejunare clericis aut aliis). Nichts davon ist specifisch hus-
sitisch; durchweg lautet die Formulierung radikaler, als bei Wesel; und an-
derseits sind es gerade die charakteristischen Kerngedanken dieser Häretiker,
die man bei Wesel vermißt.
3 Katholik (1898) I, 51.
3 Ebd. 50, Anm. 3. Es handelt sich um einen berüchtigten Siegelfälscher
und Hochstapler.
Gerhard Ritter:
Gründen der heiligen Schrift überführt, im übrigen nur medi-
zinische Dinge und die Frage des Laienkelches mit ihm erörtert
haben. Was seine Schriften an oppositionellen Ideen enthalten,
sprengt doch eigentlich nicht den Rahmen dessen, was gewisser-
maßen als Gemeingut aller spätmittelalterlichen Oppositionsliteratur
zu gelten hat und trägt nirgends, soviel ich sehe, spezifisch hussi-
tische Farbe (es sei denn die Zulassung desLaienkelches, B l)1.
Sicherlich wäre es also unrichtig, ihn einen Schüler der Hussiten
zu nennen; er selber hielt sich bis zuletzt (anscheinend sogar noch
während der Verbrennung seiner Schriften!) für einen gutkatho-
lischen Christen, der freilich in einzelnen Punkten der geltenden
Kirchenlehre widersprochen habe — nicht für einen Abtrünnigen.
Solange wir nichts Näheres über die Absichten wissen, die ihn zu
seinem verhängnisvollen Schreiben an den „Häresiarchen der
Böhmen“ führten2, bleibt die Möglichkeit offen, daß er einfach das
gutgläubige Opfer eines böhmischen Abenteurers3 geworden ist, der
an ihm eine Eroberung machen wollte und ihn über die Verwandt-
1 Der G. 1. m. 6993 enthält auf fol. 239a—269a eine ausführliche Wider-
legung von 47 articuli Johannis Wikleff, 30 articuli Joh. Huß Bohemi und 20
articuli erronei cuiusdam Bohemi alterius a Johanne Huß in quodam tractatu
ab eodem composito contenti, verfaßt von einem der Ketzerrichter Wesels, dem
Heidelberger Theologen Nik. von Wachenheym (undatiert; die Angabe des
Schmelle/-sehen Kataloges „1484“ beruht auf dem Mißverständnis einer spä-
teren Eintragung fol. 238k) Auf den Ketzerprozeß Wesels wird in diesen
reprobaciones nirgends Bezug genommen. Die hier aufgeführten Artikel be-
schäftigen sich fast durchweg mit Gedanken, die Wesel fernlagen (Kirche der
Praedestinieten; Vernichtung aller geistlichen Autorität und Funktion durch
Todsünde des Priesters; Verdammung alles weltlichen Kirchenbesitzes und
aller Mönchsorden als solcher; Leugnung der Transsubstantiation; Priesteramt
der Laien u. v. a. m.). An Weselsche Thesen klingen nur ganz von ferne ein
paar vereinzelte Sätze an (Recht des Volkes, unbrauchbare Obern zu korri-
gieren; der Papst ist nicht Christi echter Stellvertreter und Petri Nachfolger;
es gibt keinen vicarius Christi und keinen summus pontifex; decretales sunt
epistole apocrise et seductive a fide Christi; fatuum est credere indulgentiis;
Petrus non est nec fuit caput ecclesie katholice; obediencia ecclesiastica ist
Menschenerfindung, nicht Bibelgebot; prelatis ecclesie non est obediendum nisi
in ewangeliis dumtaxat preceptis; prelati ecclesie non habent potestatem pro-
hibendi nubere vel jejunare clericis aut aliis). Nichts davon ist specifisch hus-
sitisch; durchweg lautet die Formulierung radikaler, als bei Wesel; und an-
derseits sind es gerade die charakteristischen Kerngedanken dieser Häretiker,
die man bei Wesel vermißt.
3 Katholik (1898) I, 51.
3 Ebd. 50, Anm. 3. Es handelt sich um einen berüchtigten Siegelfälscher
und Hochstapler.