42
Gerhard Ritter:
burgo usw.1. Noch einmal (!) wird nun erzählt, daß Heidelberger
und Kölner Theologen berufen wurden; diesmal werden sie alle
(bis auf einen Kölner) mit Namen genannt. Von Heidelberg war
nur einer „de via modernorum“ darunter, Nikolaus von Wachen-
heim. Magister Johannes Wesel war schwer krank, heißt es weiter,
wurde aber trotzdem „ziemlich barsch“ inquiriert. Nimmt man
den Verstoß gegen das „filioque“ aus, so verdienten seine Irr-
ttimer doch wohl nicht so harte Strafe, wie er sie erfuhr. Man hätte
ihm Zeit lassen, ihm Berater geben sollen. Aber freilich: seine
Richter waren alle bis auf einen de via reaiium; und die (Kölner)
Mönche hatte eine wahre Leidenschaft gepackt, über einen Welt-
geistlichen triumphieren zu können, zumal über einen, der nicht
ihren Thomas als Parteigötzen verehrte. Auch Magister Engeling
von Braunschweig und Johann Kaisersberg sind der Meinung, daß
man mit Wesel milder hätte verfahren sollen; ja Magister Engeling
hat sogar gemeint, der größere Teil seiner Thesen sei recht wohl
haltbar gewesen. Und nun folgen pathetische Klagen über den
törichten, nutzlosen und geistlosen Streit der via moderna und
antiqua, den der Teufel als ein Unkraut zwischen Theologen und
Philosophen (,,philosophos“, nicht „artistas“!) gesät hat; aber der
Klagende läßt deutlich erkennen, daß er selber der via modernorum
und zwar in der Heidelberger Spielart der Marsiliani angehört,
wenn er auch glaubt, daß die ganze Streiterei, diese gelidae inten-
tionum speculationes, die Streitenden leider von nützlicheren und
frömmeren Beschäftigungen fernhalte.
Unsere Verwunderung wächst. Was in aller Welt hat dieser
Ketzerprozeß mit dem akademischen Schulstreit der antiqui und
moderni zu tun ? Wenn der Berichterstatter überzeugt war, daß
der Haß der Bettelmönche und der Thomisten auf die „moderni11
und auf die Weltgeistlichen hinter den Anklagen der Inquisition
stecke, warum deutete er nichts davon in dem Bericht selber an ?
Dort herrscht doch offenbar volle Einmütigkeit unter den Richtern
über die Schuld des Angeklagten ? Wie hätte es auch anders sein
sollen ? Konnte ein scholastisch gut geschulter und kirchlich kor-
1 Diese Interpunktion scheint mir die einzig sinnvolle im Gegensatz zu
den alten Drucken, die das scribo regelmäßig zu Moguntiaco ziehen: welchen
Sinn hätte es, zu sagen, daß der Schreibende ,,sub Archiepiscopo“ usw.
schreibe?! Zu der Annahme, daß diese Worte in Mainz sofort nach Prozeß-
ende geschrieben seien (Clemen, DZGW II, 145, N) scheint mir nichts zu
zwingen.
Gerhard Ritter:
burgo usw.1. Noch einmal (!) wird nun erzählt, daß Heidelberger
und Kölner Theologen berufen wurden; diesmal werden sie alle
(bis auf einen Kölner) mit Namen genannt. Von Heidelberg war
nur einer „de via modernorum“ darunter, Nikolaus von Wachen-
heim. Magister Johannes Wesel war schwer krank, heißt es weiter,
wurde aber trotzdem „ziemlich barsch“ inquiriert. Nimmt man
den Verstoß gegen das „filioque“ aus, so verdienten seine Irr-
ttimer doch wohl nicht so harte Strafe, wie er sie erfuhr. Man hätte
ihm Zeit lassen, ihm Berater geben sollen. Aber freilich: seine
Richter waren alle bis auf einen de via reaiium; und die (Kölner)
Mönche hatte eine wahre Leidenschaft gepackt, über einen Welt-
geistlichen triumphieren zu können, zumal über einen, der nicht
ihren Thomas als Parteigötzen verehrte. Auch Magister Engeling
von Braunschweig und Johann Kaisersberg sind der Meinung, daß
man mit Wesel milder hätte verfahren sollen; ja Magister Engeling
hat sogar gemeint, der größere Teil seiner Thesen sei recht wohl
haltbar gewesen. Und nun folgen pathetische Klagen über den
törichten, nutzlosen und geistlosen Streit der via moderna und
antiqua, den der Teufel als ein Unkraut zwischen Theologen und
Philosophen (,,philosophos“, nicht „artistas“!) gesät hat; aber der
Klagende läßt deutlich erkennen, daß er selber der via modernorum
und zwar in der Heidelberger Spielart der Marsiliani angehört,
wenn er auch glaubt, daß die ganze Streiterei, diese gelidae inten-
tionum speculationes, die Streitenden leider von nützlicheren und
frömmeren Beschäftigungen fernhalte.
Unsere Verwunderung wächst. Was in aller Welt hat dieser
Ketzerprozeß mit dem akademischen Schulstreit der antiqui und
moderni zu tun ? Wenn der Berichterstatter überzeugt war, daß
der Haß der Bettelmönche und der Thomisten auf die „moderni11
und auf die Weltgeistlichen hinter den Anklagen der Inquisition
stecke, warum deutete er nichts davon in dem Bericht selber an ?
Dort herrscht doch offenbar volle Einmütigkeit unter den Richtern
über die Schuld des Angeklagten ? Wie hätte es auch anders sein
sollen ? Konnte ein scholastisch gut geschulter und kirchlich kor-
1 Diese Interpunktion scheint mir die einzig sinnvolle im Gegensatz zu
den alten Drucken, die das scribo regelmäßig zu Moguntiaco ziehen: welchen
Sinn hätte es, zu sagen, daß der Schreibende ,,sub Archiepiscopo“ usw.
schreibe?! Zu der Annahme, daß diese Worte in Mainz sofort nach Prozeß-
ende geschrieben seien (Clemen, DZGW II, 145, N) scheint mir nichts zu
zwingen.