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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0046
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Gerhard Ritter:

je mehr sich die antiqui hier breit machten, um so eifriger wehrten
sich die moderni ihrer Haut1. Und gegen die „Makulisten“ des
Dominikanerklosters suchten die Heidelberger Franziskaner-Obser-
vanten die Gunst der öffentlichen Meinung auf alle Weise für sich
zu erobern. Hier wie andernorts gewinnt man den Eindruck, daß
die Dominikaner mit ihren Zweifeln an der Empfängnis Mariä ohne
Erbsünde gegen Ende des Jahrhunderts in eine schwierige Ver-
teidigungsstellung gedrängt, ihre Widersacher im allgemeinen der
stärker aggressive Teil waren. Das Baseler Reformkonzil hatte sich
1439 unzweideutig für die skotistische Lehre ausgesprochen; und
wenn ihre Gegner darauf pochten, die Synode sei damals, nach der
Lossagung Eugens, bereits schismatisch gewesen, so bestanden alle
heimlichen und offenen Gegner des absoluten Papsttums (wie Jo-
hann von Wesel)2 um so leidenschaftlicher auf der Gültigkeit ihres
Mariendekrets. Wer immer einen Groll im Herzen trug gegen die
päpstliche Inquisition und ihre offiziellen Träger, die Dominikaner,
mochte hoffen, an diesem Punkte eine schwache Stelle in dem
schweren Panzer ihrer scholastischen Rüstung zu erspähen, die es
ermöglichen würde, durch geschickt geführte Dolchstöße die Auto-
rität dieser Ketzerrichter womöglich zu Falle zu bringen. Zögerte
doch das Papsttum selber, im Widerspruch zu der allgemeinen
Stimmung der Zeit, den Thomisten durch eine eindeutige Lehr-
entscheidung zu Hilfe zu kommen! Die Bulle Sixtus IV. Grave
nimis von 1483, durch Alexander VI. 1503 erneuert, verbot zwar
bei schwerer Kirchenstrafe die gegenseitige Verketzerung der Strei-
tenden, aber eben derselbe Sixtus, ehemaliger General der Franzis-
kaner und literarischer Verfechter ihrer Marienlehre, hatte das
meiste dazu getan, das Fest der Empfängnis erst recht populär zu
machen.
Nach alledem nimmt es nicht im mindesten wunder, auch den
Hauptteil der deutschen Humanisten auf der Seite der „Immaku-
listen“ zu finden. Die Mariengedichte Wimpfelings (des Welt-
geistlichen und Lästerers der Bettelorden!), Sebastian Brants,
Werner von Themars gehören zu den schönsten ihrer Poeme3;
jedenfalls atmen sie weit mehr wirkliche Empfindung, als die große
1 Vgl. ihre Verteidigungsschrift von 1499, zitiert in der 2. Studie, p. 75
u. 129 und Wimpfelings Schrift pro concordia dialecticorum, ebd. 130.
2 Siehe Texte: B 5.
3 Über Wimpfelings Marienverehrung vgl. Ivnepper, Jak. Wimpfeling
(1902), 54ff., 363f.
 
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