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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1926/27, 5. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 3: Neue Quellenstücke zur Theologie des Johann von Wesel — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38927#0050
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50

Gerhard Ritter:

selben Klagen über den Zwiespalt der beiden „Wege“, den wir
schon aus den Schlußsätzen unseres Prozeßberichtes A kennen1.
Während aber dort nur von dem Schaden die Rede war, den die
Beschäftigung mit so nichtigen Streitigkeiten der wahren Liebe
Gottes und des Nächsten bringt, setzt unser Humanist die Anklage
fort und erweitert sie zu einer Verdammung des ganzen scholasti-
schen Erziehungssystems, das den künftigen Pfarrer mit unnützen
Sophismen quält, statt ihn auf seinen künftigen Beruf vorzubereiten.
(Unter den hierfür angerufenen Autoritäten erscheint Laurentius
Valla neben Johannes Gerson!). Irrig ist auch die übliche Ausrede
der Scholastiker: man brauche so schwer gelehrtes, aristotelisches
Rüstzeug, um die Ketzer zu bekämpfen. Nein, nicht mit schola-
stischen Argumenten, sondern mit dem klaren Bibelwort allein
besiegen wir die Ketzer! Und wie machen es denn die Ketzer-
besieger in Wirklichkeit? Am Beispiel des Johannes Wesel hat
man es kürzlich (nuper) erst gesehen: da wurde nicht lange dis-
kutiert mit diverticula und enthimeumata\ da hieß es kurzab:
glaubst Du ? oder nicht ? Es mag eine Zeit gegeben haben, wo die
Kirche noch in äußerer Gefahr stand, und sie es nötig fand, die
Ketzer durch Herumstreiten mit ihnen zu überwinden; heute, unter
christlichen Herrschern, bei völlig gesichertem äußeren Bestand der
Hierarchie, genügt es doch wahrlich (wie Johannes Wesalias Bei-
spiel tatsächlich zeigt), mit Hilfe der Inquisition sie zu vernichten.
Et quoniam de magistro Joanne Wesaliano memoria incidit: sollte er
nicht bloß darum so schlecht gefahren sein in jenem Prozeß, weil
er ein weltlicher Theologe, ein Marsilianer und nicht ein Thomist
und Kuttenträger war ? Und nunmehr folgen Klagen über die
Rücksichtslosigkeit der Prozeßführung, die wiederum — diesmal
zwar nur stellenweise wörtlich, aber dem Sinne nach genau —
dem Inhalt jenes Schlußteils der Prozeßrelation A entsprechen.
Aber auch die Parallele zu der uns seltsam erscheinenden Ein-
leitung jenes Berichtes bleibt nicht aus: wäre damals schon Ber-
thold von Henneberg Kurfürst von Mainz gewesen — so heißt
es weiter — dann hätte er gewiß einen so überstürzten und un-
humanen (inhumanum) Prozeß nicht geduldet2: er durfte küh-
1 Von den Worten ab: Quis nisi ipse diabolus . . . bis zum Schluß. Die
Abweichungen sind ganz geringfügig. So ist aus dem ,,diabolus“ einmal
ein ,,inimicus humani generisein andermal Pluto geworden! —-
2 Hensel rechnete wohl mit Grund auf die Gunst des Mainzer Hofes in
seiner eigenen Sache: 1506 wurde ein gegen ihn gerichtetes Pamphlet seines
 
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