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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0032
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Ernst Lohmeyer:

seins führt, dem Tode. Aber ist wirklich dieser Gang der strikte
und notwendige göttliche Gegensatz zu der teuflischen Möglich-
keit des Rauhens ? Die Entscheidung zwischen Raub und Nicht-
raub hatte in der iranischen Kosmogonie eine unmittelbare Ana-
logie. Wohl ist dort in der Verkündung des Zarathustra, der sich
als den göttlichen Boten aus dem Lichtreich weiß, auch ein Ana-
logon zu dem Gedanken der Menschwerdung vorhanden, aber ihm
fehlt völlig der Akzent der Niedrigkeit und vollends der Begriff
der Demut bis zum Tode, der hier entscheidend den Fortgang des
Gedichtes bestimmt. So muß hier ein neues Motiv in den Gedan-
kengang eintreten, das den Begriff der Niedrigkeit notwendig macht;
und die folgenden Sätze enthüllen es deutlich genug.
Liegt auf dem menschlichen Dasein der göttlichen Gestalt das
Dunkel der Niedrigkeit, so auf dem Kyrios-Dasein das Licht einer
göttlichen Erhöhung. Die Folge von menschlicher Niedrigkeit und
göttlicher Hoheit, von TaTCsivouaboct, und u^oua-öm ist also das
Gesetz, das über diesem göttlichen Geschehen waltet. Damit ist
aber ein Begriffspaar gegeben, das für die jüdische Frömmigkeit
grundsätzliche Bedeutung hat1. In ihm löst sich das seit dem
Exil brennend gewordene Problem, wie die geschichtliche Lage des
Volkes mit dem unerschütterlichen Bewußtsein einer göttlichen
Erwählung vereinbar sei, und ebenso das weitere Rätsel, wie das
Leiden der Frommen bei der Gerechtigkeit Gottes möglich sei.
Darin wird alles Leiden zum Zeichen Gottes in dem Leben des
einzelnen wie in der Geschichte des Volkes. Daß gerade Leiden
dieses Zeichen ist, wird nur durch den Gedanken möglich, daß die
Gesamtheit des Daseins in Geschehen und Bestehen Gott fern und
fremd ist ; der früher berührte, dialektische Gegensatz von Welt
und Gott tut sich hier von neuem auf2. Daß aber Leiden ein solches
Zeichen ist, bedeutet nichts anderes, als daß Geschichte und
Leben in solchem Gegensatz dennoch von gleichsam geheimen
Gedanken Gottes getragen sind. So ist dieLeidhaftigkeit des Daseins
und die Zeichenhaftigkeit dieses Leidens in einem größeren Zu-
sammenhang eingeordnet. Leiden ist nicht mehr eine vereinzelte
und in dieser Vereinzelung unbegreifliche Tatsache, sondern es
ist im strengen Sinne Bestimmung, d. h. die von Gott gesetzte
1 Vgl. Dibelius, Der Jakobusbrief 37ff.; W. Sattler, Die Anawim
(Festschrift f. Ad. Jülicher 1927) 1—16.
2 Vgl. meinen Aufsatz: Die Idee des Martyriums (Ztschr. f. System
Theol. 1927, 232ff.).
 
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