Kyrios Jesus.
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notwendige Funktion alles geschichtlichen Lebens, die sein sprödes
und fremdes Material gleichsam fähig und reif macht, eine Stätte
göttlicher Offenbarung zu werden. Lind in solcher Funktion wird
dann der göttliche Sinn der Geschichte unmittelbar kund und jedes
Leiden ein Schritt auf dem Wege zur vollen Wirklichkeit dieses
Sinnes. In diesem Ziele ist also alles Leiden in dem bekannten
Doppelsinne des Wortes aufgehoben, es ist zugleich vernichtet
und bewahrt, oder um es mehr mit den Worten dieses Psalmes zu
sagen, die Hoheit des göttlichen Zieles, das am Ende der Tage
erreicht ist, bedeutet die Erfüllung aller Niedrigkeit und alles
Elendes, und die Erhöhung folgt nur deshalb auf alle Niedrigkeit,
weil beides letztlich, d. h. von Gott her gesehen, eines und das-
selbe ist. Damit enthält denn dieser Gedankengang für den From-
men ein Dreifaches: Die gläubige Erkenntnis: „Der Herr wider-
steht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“1, die
•eschatologische Gewißheit: „Er erhöhet die Demütigen“2, und
endlich die ethische Pflicht der Demut3. Der Schöpfer dieser Ge-
danken, in denen die geschichtliche Lage des jüdischen Volkes
:sich religiös verklärt, ist für das Judentum Deuterojesaja. Er
hat in den Ebed- Jahwe-Liedern die Gestalt hingestellt, die gerade
in ihrer äußeren Niedrigkeit ihre Auserwähltheit durch Gott be-
zeugt und bewährt. Durch diese Zusammenhänge klärt sich auch
die Anlage des Christusliedes. Es begreift sich, weshalb der Ver-
zicht auf den „Raub“ zugleich die Wahl von Niedrigkeit und Tod
bedeutet; denn durch den äußersten Gegensatz hindurch seinen
Plan und sein Werk zu treiben, das dennoch der Geschichte der
Welt gilt und sie erfüllt, ist nun ein Gesetz, das aus dem Wesen
Gottes fließt. Es ist in diesem Gedankengang, der vielleicht letztlich
fremden Quellen entstammen mag, zugleich das unveräußerliche
und ursprünglich jüdische Element. Endlich ist dann wahrschein-
lich, daß der geschichtliche Lauf, den die göttliche Gestalt in ihrem
irdischen Dasein zu vollenden hat, nach dem. großen Vorbild der
Ebed-Jahwe-Lieder geschildert ist, welches durch Jahrhunderte
hindurch das jüdische Denken bestimmt hat und im urchristlichen
Glauben neu lebendig geworden ist4.
1 Prov. 3, 34 LXX (1. Petr. 5, 5).
2 Luk. 1, 52.
3 Sie ist oft in den synoptischen Evangelien betont, z. B. Mt. 23, 12 -
Luk. 14, 11; 18, 14: 6 8e 'roc7iE(,VK>v eccmröv üifiojotrjcsTaL.
4 Das bedeutet, daß die Gleichsetzung von Ebed Jahve und Messias,.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1927/28. 4.Abh.
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notwendige Funktion alles geschichtlichen Lebens, die sein sprödes
und fremdes Material gleichsam fähig und reif macht, eine Stätte
göttlicher Offenbarung zu werden. Lind in solcher Funktion wird
dann der göttliche Sinn der Geschichte unmittelbar kund und jedes
Leiden ein Schritt auf dem Wege zur vollen Wirklichkeit dieses
Sinnes. In diesem Ziele ist also alles Leiden in dem bekannten
Doppelsinne des Wortes aufgehoben, es ist zugleich vernichtet
und bewahrt, oder um es mehr mit den Worten dieses Psalmes zu
sagen, die Hoheit des göttlichen Zieles, das am Ende der Tage
erreicht ist, bedeutet die Erfüllung aller Niedrigkeit und alles
Elendes, und die Erhöhung folgt nur deshalb auf alle Niedrigkeit,
weil beides letztlich, d. h. von Gott her gesehen, eines und das-
selbe ist. Damit enthält denn dieser Gedankengang für den From-
men ein Dreifaches: Die gläubige Erkenntnis: „Der Herr wider-
steht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“1, die
•eschatologische Gewißheit: „Er erhöhet die Demütigen“2, und
endlich die ethische Pflicht der Demut3. Der Schöpfer dieser Ge-
danken, in denen die geschichtliche Lage des jüdischen Volkes
:sich religiös verklärt, ist für das Judentum Deuterojesaja. Er
hat in den Ebed- Jahwe-Liedern die Gestalt hingestellt, die gerade
in ihrer äußeren Niedrigkeit ihre Auserwähltheit durch Gott be-
zeugt und bewährt. Durch diese Zusammenhänge klärt sich auch
die Anlage des Christusliedes. Es begreift sich, weshalb der Ver-
zicht auf den „Raub“ zugleich die Wahl von Niedrigkeit und Tod
bedeutet; denn durch den äußersten Gegensatz hindurch seinen
Plan und sein Werk zu treiben, das dennoch der Geschichte der
Welt gilt und sie erfüllt, ist nun ein Gesetz, das aus dem Wesen
Gottes fließt. Es ist in diesem Gedankengang, der vielleicht letztlich
fremden Quellen entstammen mag, zugleich das unveräußerliche
und ursprünglich jüdische Element. Endlich ist dann wahrschein-
lich, daß der geschichtliche Lauf, den die göttliche Gestalt in ihrem
irdischen Dasein zu vollenden hat, nach dem. großen Vorbild der
Ebed-Jahwe-Lieder geschildert ist, welches durch Jahrhunderte
hindurch das jüdische Denken bestimmt hat und im urchristlichen
Glauben neu lebendig geworden ist4.
1 Prov. 3, 34 LXX (1. Petr. 5, 5).
2 Luk. 1, 52.
3 Sie ist oft in den synoptischen Evangelien betont, z. B. Mt. 23, 12 -
Luk. 14, 11; 18, 14: 6 8e 'roc7iE(,VK>v eccmröv üifiojotrjcsTaL.
4 Das bedeutet, daß die Gleichsetzung von Ebed Jahve und Messias,.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1927/28. 4.Abh.
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