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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0035
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Kyrios Jesus.

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des Göttlichen und Menschlichen nichts, was sich substanzartig
erhält, sondern allein der Sinn der ethischen Tat. In aller „Verwand-
lung“ läßt sich also nicht nach dem substantialen Moment fragen,
das in ihr beharrt. Es ist der tiefe Sinn dieses Ausdrucks, daß er
diese Frage nicht kennt. Wohl sind die beiden Reiche von Gött-
lichem und Menschlichem substantial geschieden; diese substan-
tiale Scheidung ist auch unüberbrückbar. Was aber diese tiefste
Kluft und was sie allein überwindet, ist die Reinheit des sittlichen
Handelns. Doch diese Tat des Sich-opferns geschieht durch eine
göttliche Gestalt; so hat sie gerade in der Aufgabe ihrer selbst ein
neues substantiales Dasein zu schaffen. Es ist die „Knechtsgestalt“.
So trägt diese auch eine eigentümliche Doppelheit an sich; weil
die Tat ethische Setzung ist, deshalb ist es ein und derselbe, der
vorher „in göttlicher Gestalt war“, jetzt „Gestalt eines Knechtes
annimmt“. Weil dieses „Annehmen“ ein substantiales Anderssein
schafft, deshalb ist es zugleich ein anderer. Es ist deutlich, wie auch
hier der Typus des Denkens der gleiche ist wie in den iranischen
Konzeptionen. So wird aber das „Annehmen der Knechtsgestalt“
für menschliche Augen zu einem unbegreiflichen Wunder, es ist
eben deshalb das göttlich Notwendige und gleichsam Selbstver-
ständliche. Darum webt um diese Gestalt eine eigentümliche
Doppelheit. Denn dieser „Knecht“ ist um der Tat der Kenose
willen ein anderer als er erscheint — aber dieses Erscheinen hat den
vollen Sinn geschichtlicher Wirklichkeit — und er erscheint ein
anderer als er ist. Sein Anderssein ist das göttliche Geheimnis
seines menschlichen Daseins, es ist gleichsam in ihm verborgen.
Das Wort „Knecht“ ist hier absolut gesetzt. Dieser absolute
Gebrauch ist nur möglich, wenn er den Stand des Sklaven bezeich-
nen soll; er setzt also als Beziehungspunkt den menschlichen Herrn1.
Dennoch ist eine solche Bedeutung hier ausgeschlossen; nicht ein
bestimmtes Phänomen des geschichtlichen Lebens ist hier gemeint,
sondern das geschichtliche Leben als Gesamtphänomen. Wohl
setzt das Wort sprachlich und sachlich den Gegensatz des „Herrn“.
Er ist aber, um des klaren Gegensatzes willen, in dem die zweite
Strophe zu der ersten steht, nicht in geschichtlicher, sondern in
göttlicher Sphäre zu suchen. So wird einmal bestätigt, daß das
„Gott-gleich-sein“ dem Kyrios-sein entspricht; es wird sodann

1 Daher die unmögliche Annahme Maurenbrechers, Von Nazareth bis
Golgatha 126, Jesus sei Sklave gewesen.
 
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