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Ernst Lohmeyer:
die ihre Visionen durchziehen, nach zwei Seiten hin geschildert.
Ihr Äußeres wird in oft phantastischer Buntheit angegeben und
dann meist mit kurzen Worten ihr Name genannt. Gestalt und
Namen konstituieren also die Gesamtheit einer Erscheinung;
und wie hier, so wird die Zusammengehörigkeit beider Begriffe auch
im vierten Evangelium durch die Worte und ©cov/) gekenn-
zeichnet. Und diese Gegenüberstellung von Gestalt und Namen,
Aussehen und Stimme, auch Gestalt und Wort wird verdeutlicht
durch das Begriffspaar „Fleisch und Geist“1. Die Art dieses Zu-
sammenhanges ist nicht die gleiche wie die von Körper und Seele,
mit welchen Begriffen die griechische Philosophie die Wechsel-
bezogenheit von Wirklichkeit und Bestimmtheit definiert hat.
Sie ist nicht philosophisch und griechisch, sondern mythisch und
orientalisch. Denn Gestalt und Aussehen umfassen den gesamten
Bestand der Wirklichkeit, sie meinen beim Menschen selbst den
psycho-physischen Bezug. Als ein vergleichsweise Fremdes, als
göttliches bzw. widergöttliches Formprinzip tritt der Name oder
das Wort oder der Geist hinzu. Er bestimmt die Wirklichkeit des
Besonderen zu der religiösen und ethischen Wirklichkeit des
Allgemeinen, und da diese religiös-ethische Gültigkeit, wie früher
gezeigt, die Voraussetzung auch der naturhaften und geschichtlichen
Wirklichkeit ist, so empfängt der Name eine doppelte Funktion:
Er ist das ganz Allgemeine, das Innerste einer Gestalt, er ist es als
ihr Wort und ihr Geist; und er umfaßt zugleich das Äußere und
Besondere dieser Wirklichkeit, die nur durch ihn ist. Die Ursprünge
dieser religiös-biologischen Betrachtungsweise, die nicht auf grie-
chischem, sondern auf vorderasiatischem Boden zu suchen sind,
können hier nicht untersucht werden. Die Folgerungen für diese
Stelle sind bedeutsam genug.
Der Name, den Gott verleiht, ist zweifellos „Kyrios“2; er
bezeichnet die Gesamtheit der göttlichen Wirklichkeit, ihre Gestalt
wie ihr Sein3. Aber der Name hat auch die Funktion, nur die innere
1 Ev. Joh. 6, 63.
2 So auch die meisten Ausleger. Schon Vitringa bemerkt in seiner Aus-
legung (z. St.), daß „die alten Lehrer der Hebräer, Avenn sie sich mit Ps. 47
(einem Psalm auf die Weltherrschaft des Kyrios) und Sach. 6, 12f. (gleichen
Inhalts) beschäftigen, diese Worte von der Verherrlichung des Messias ver-
stehen“.
3 Die feierliche Verhüllung dieses „Namens über alle Namen“ (.sem
hammephoras); vgl. schon äth. Iden. 69, 13—25, Euseb. Praep. Evang. IX 27,
24—26. Mehr bei Bousset, Rel. d. Jud.3, 309f.
Ernst Lohmeyer:
die ihre Visionen durchziehen, nach zwei Seiten hin geschildert.
Ihr Äußeres wird in oft phantastischer Buntheit angegeben und
dann meist mit kurzen Worten ihr Name genannt. Gestalt und
Namen konstituieren also die Gesamtheit einer Erscheinung;
und wie hier, so wird die Zusammengehörigkeit beider Begriffe auch
im vierten Evangelium durch die Worte und ©cov/) gekenn-
zeichnet. Und diese Gegenüberstellung von Gestalt und Namen,
Aussehen und Stimme, auch Gestalt und Wort wird verdeutlicht
durch das Begriffspaar „Fleisch und Geist“1. Die Art dieses Zu-
sammenhanges ist nicht die gleiche wie die von Körper und Seele,
mit welchen Begriffen die griechische Philosophie die Wechsel-
bezogenheit von Wirklichkeit und Bestimmtheit definiert hat.
Sie ist nicht philosophisch und griechisch, sondern mythisch und
orientalisch. Denn Gestalt und Aussehen umfassen den gesamten
Bestand der Wirklichkeit, sie meinen beim Menschen selbst den
psycho-physischen Bezug. Als ein vergleichsweise Fremdes, als
göttliches bzw. widergöttliches Formprinzip tritt der Name oder
das Wort oder der Geist hinzu. Er bestimmt die Wirklichkeit des
Besonderen zu der religiösen und ethischen Wirklichkeit des
Allgemeinen, und da diese religiös-ethische Gültigkeit, wie früher
gezeigt, die Voraussetzung auch der naturhaften und geschichtlichen
Wirklichkeit ist, so empfängt der Name eine doppelte Funktion:
Er ist das ganz Allgemeine, das Innerste einer Gestalt, er ist es als
ihr Wort und ihr Geist; und er umfaßt zugleich das Äußere und
Besondere dieser Wirklichkeit, die nur durch ihn ist. Die Ursprünge
dieser religiös-biologischen Betrachtungsweise, die nicht auf grie-
chischem, sondern auf vorderasiatischem Boden zu suchen sind,
können hier nicht untersucht werden. Die Folgerungen für diese
Stelle sind bedeutsam genug.
Der Name, den Gott verleiht, ist zweifellos „Kyrios“2; er
bezeichnet die Gesamtheit der göttlichen Wirklichkeit, ihre Gestalt
wie ihr Sein3. Aber der Name hat auch die Funktion, nur die innere
1 Ev. Joh. 6, 63.
2 So auch die meisten Ausleger. Schon Vitringa bemerkt in seiner Aus-
legung (z. St.), daß „die alten Lehrer der Hebräer, Avenn sie sich mit Ps. 47
(einem Psalm auf die Weltherrschaft des Kyrios) und Sach. 6, 12f. (gleichen
Inhalts) beschäftigen, diese Worte von der Verherrlichung des Messias ver-
stehen“.
3 Die feierliche Verhüllung dieses „Namens über alle Namen“ (.sem
hammephoras); vgl. schon äth. Iden. 69, 13—25, Euseb. Praep. Evang. IX 27,
24—26. Mehr bei Bousset, Rel. d. Jud.3, 309f.