Metadaten

Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0065
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kyrios Jesus.

65

Es würde eine besondere Untersuchung erfordern, um die tiefen
religiösen Voraussetzungen aufzudecken, die solche Art bedingen.
Indes ist es möglich, aus der Tatsache solcher Haltung einige nicht
unwichtige Schlüsse zu ziehen.
Das Geschehen, das dieses Lied schildert, ist wohl die Voraus-
setzung dafür, daß eine Gemeinde von Gläubigen in Zeit und Ge-
schichte möglich und wirklich ist, aber es erschöpft seine Bedeutung
nicht in dieser seiner konstituierenden Funktion. Es setzt eine
Distanz zwischen sich und der Gemeinschaft ; ob es gleich von
Gläubigen getragen wird, so besteht es doch unabhängig von diesem
Geglaubt- und Gewußtwerden. Und diese Ferne ist nur ein eigen-
tümlicher Ausdruck der reinen escbatologischen Bestimmtheit,
in der ihr Glaube rein und lebendig ist. So muß denn auch jenes ein-
malige und zugleich immer gegenwärtige Geschehen, das diesen
Glauben entzündet und seine Flamme stetig nährt, nur nach seiner
zeitlosen Einmaligkeit die Form prägen, in der eine gläubige Ver-
ehrung möglich ist; seine ewige Gültigkeit kann in ihr nur gewußt
werden und harrt noch der endgültigen, d. h. escbatologischen
Manifestation ihrer Wirklichkeit. Kultus ist also immer ein Vor-
letztes und Vorläufiges, niemals Grund und Ziel, sondern immer
nur ein Schritt zum Ziel; er ist gleichsam ein Fragmentarisches,
das seiner Vollendung zur Einheit noch entgegenharrt. Aus diesen
sachlichen Voraussetzungen erklärt sich einleuchtend die bis tief
ins Innere reichende Form dieses Psalms.
Eine weitere mehr äußere Folgerung läßt sich aus diesem
Sachverhalt ziehen. Der Psalm ist Paulus und durch ihn seinen
Gemeinden überliefert; er besitzt in sich Autorität genug, um als
„festes prophetisches Wort“ seinem und ihrem Leben Maß und
Ziel zu geben. So kann er kaum ein Stück des üblichen Gemeinde-
gottesdienstes sein, in dem nach Paulus eigenen Worten ein jeder
vorträgt, was er gerade hat, „einen Psalm, eine Lehre, eine Offen-
barung, Zungenreden, Deutung“1; denn es bliebe unklar, wie sich
aus solcher Freiheit die Möglichkeit einer Tradition von geheiligten
Worten ergäbe. Zudem scheint dieser Psalm eine Stätte zu er-
fordern, in der der Glaube der Gemeinde sich rein auf sein eschato-
logisches Ziel sammelt. Beides, die Heiligkeit und Notwendigkeit
der Tradition und die eschatologische Bestimmtheit der Glaubens-
äußerung scheint im Urchristentum nur an einer Stelle vereinigt zu
sein, bei der Feier des Abendmahles. Die Apostelgeschichte erzählt,
1 I. Kor. 14, 26.

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1927/28. 4. Abh.

5
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften