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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0069
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Kyrios Jesus.

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Teil die Züge, die auch hier erwähnt sind, daß ein göttliches Wesen
vom Himmel herniederstieg, ein kurzes Dasein „wie ein Mensch“
auf Erden führte und dann in seine himmlische Heimat zurück-
kehrte. Aber es ist dennoch zu sagen, daß auf jüdischem Boden
dieser Mythos als ein zusammenhängendes Ganzes nie existiert hat,
wenigstens nicht in den letzten vorchristlichen Jahrhunderten,
sondern höchstens disjecta membra dieser Anschauung. Sonst wäre
schon die danielische Umdeutung des Menschensohnes nicht mehr
begreiflich, und es bliebe an dieser Stelle dunkel, weshalb von einer
gleichsam aus eigener Kraft vollzogenen Rückkehr des Menschen-
sohnes nicht die Rede ist. Mit dem Tode der göttlich-menschlichen
Gestalt sind seine Taten zu Ende gegangen, und Gott ist es, der ihn
nun auf den Thron einer ewigen Herrschaft setzt. Ebenso hat das
Motiv der Selbstopferung und Selbsterniedrigung bis zum Tode in
diesem Mythos kein unmittelbares Äquivalent. Alle diese Züge sind
aber, wie die Auslegung gezeigt hat, in dem Liede vom Knechte
Jahwes Jes. 53 enthalten. Der Sinn, den dieses Lied im Zusammen-
hang der Prophetie Deuterojesajas gehabt hat, kommt hier freilich
nicht in Frage, sondern nur sein späteres Verständnis. Da haben
schon die LXX den Begriff der „Erniedrigung“ in seine Mitte
gestellt. Später hat der E Clemensbrief, ohne daß ein Zusammen-
hang mit unserer Stelle deutlich würde, aus Jes. 53 gerade das Bild
der Erniedrigung des göttlichen Erlösers herausgelesen, und noch
spätere rabbinische Quellen haben nicht selten das Bild des Messias
nach dem Vorbild Deuterojesajas gezeichnet1. So wird man schlie-
ßen dürfen, daß die Tradition vom Menschensohn mit der anderen
vom „Knechte Gottes“ schon in vorchristlicher Zeit zusammen-
gewachsen ist; ja vielleicht darf man nicht einmal von einem Zu-
sammenwachsen reden, sondern eben die Ebed-Jahwe-Lieder ent-
halten schon in ihrem ursprünglichen Ansatz den Gedanken, daß
ein Gottgesandter durch sein geschichtliches Leben und seinen
„niedrigen Tod“ zum Erlöser geworden ist. Wie dem auch sein mag,
der Schluß wird notwendig, daß schon im Judentum das Bild
einer göttlichen Gestalt in niedriger Menschlichkeit oder eines
Menschen in göttlicher Würde vorhanden war. Und in der Tat
scheinen auch die Testamente der zwölf Patriarchen eine ähnliche
Anschauung zu kennen2.
1 S. o. 30 f.; ferner Dalmann, Jes. 53 und Stu ack-Billereeck II
274 ff. zu Lc. 24, 26.
2 Diese Stellen (Test. Sym. 6; Jud. 24; Dan 5; Jos. 19; Benj. 9.10. 11)
 
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