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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0081
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Kyrios Jesus.

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oder Sünde und Gesetz. Sünde — und das Wort „Sünde“ erscheint
ja im Hebräerbrief niemals auf einen einzelnen, sondern immer auf
eine Gemeinschaft bezogen oder noch häufiger absolut gesetzt —
ist der Inbegriff des Widergöttlichen, der den „Zugang zum
Throne verwehrt“; und die Sünde zu überwinden, reicht keine
einzelne Macht aus, sondern bedarf es der durch das Gesetz gebote-
nen priesterlichen Veranstaltung. Sie also ist das einzige Mittel,
den Zwiespalt zu überwinden und als solches durch das alttesta-
mentliche Wort selbst göttlich festgelegt. So wird aber der Begriff
des kultischen Opfers zu dem von Gott selbst gesetzten Mittel,
den Zwiespalt von Gott und Menschheit zu überwinden. Es kann
hier noch unerörtert bleiben, daß der Hebräerbrief in dem mosa-
ischen Kultusgesetz eine Vordeutung auf die kommende und voll-
endende Wirklichkeit sieht; wichtig ist hier nur der Gedanke des
Opfers an sich. Er ist im Psalm implizit gesetzt, im Hebräerbrief
nach der kultischen Seite reich entfaltet. So muß denn auch Opfer
und Priester eines werden; die göttliche Gestalt wird zum Hohen-
priester, der sein eigen Blut darbringt. Wohl mögen hier mannig-
fach historische Momente die uns z. T. unbekannt sind, mitgewirkt
haben; ihnen nachzugehen ist hier nicht möglich. Entscheidend
bleibt, daß aus der gezeichneten Konzeption die Möglichkeit
dieser Kombination notwendig folgt. Es bedarf nur eines doppelten
Gedankenganges, des jüdischen, daß dieses Volk Israel in seinem
kultischen Gesetz das einzige von Gott gesetzte Mittel hat, den
Zugang zwischen Mensch und Gott zu öffnen, und des urchristlichen,
daß der Gottes- und Menschensohn den Zwiespalt zwischen Gott
und Welt überbrückt. Jener jüdische ist wohl in der Form seiner
geschichtlichen Wirklichkeit überholt, nicht aber in seiner von Gott
gesetzten Bestimmung. So wird jenes Mittel zum Mittler, der
Tod zum kultischen Opfer, das dieser selbst darbringt.
Jetzt wird auch die eigentümlichste Kombination des Hebräer-
briefes begreiflich, die man etwas mißverständlich „die Himmel-
fahrt des Hohenpriesters“ genannt hat. Sie ist nichts anderes als
eine Verbindung der Idee des Kultus mit der Idee des Menschen-
sohnes. Er „geht zurück in den Himmel“, und erst in dieser Rück-
kehr ist das Werk der Einigung von Gott und Welt vollendet. So
muß denn diese Rückkehr in den kultischen Gedankenkreis einge-
ordnet werden können; es geschieht, indem der „Sohn“ als Hoher-
priester sich selbst im himmlischen Heiligtum darbringt. Nichts
ist für diese Wendung bezeichnender, als daß eben die Wirkungen

Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1927/28. 4. Abh.

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