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Lohmeyer, Ernst; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1927/28, 4. Abhandlung): Kyrios Jesus: eine Untersuchung zu Phil. 2,5-11 — Heidelberg, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.38938#0088
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Ernst Loiimeyer:

Sicherheit festzustellen, wie weit sie in ihrer Komplexion für Jesus
lebendig waren, der sich „den Menschensohn“ nannte1. Aber sie
sind in dem Kyriosliede des Philipperbriefes klar ausgesprochen.
So sind denn auch die Anknüpfungspunkte für seine christo-
logische Anschauung rein im Judentum gegeben, und es bedarf
zunächst nicht der Fragen nach fremden, wie immer gearteten
Einflüssen. In ihr, die diese Menschensohngestalt in Jesus ge-
schichtliche Person geworden sieht, liegen denn auch wie in einem
Kerne die vielfältigen Formen der Christologie beschlossen, die
im Urchristentum jäh sich entfalten. Sie begründet das Recht des
Kyrios-Namens für Jesus; es ist mit tiefem Sinn der alttestament-
liche Gottesname, der ihm prädiziert wird. Sie gibt die Möglichkeit
einer Logosbetrachtung, denn „Logos“ ist der offenbare Sinn Gottes
in Welt und Geschichte. Sie klärt das Rätsel und Wunder seiner Ge-
hurt und seines Todes. Und sie vermag dies alles, weil sie mit dem
mütterlichen Boden jüdischer Frömmigkeit durch ein unlösliches
geistiges Band verknüpft ist; es ist jene Metaphysik zweier Welten,
die nach wie vor gewahrt ist. Freilich dies ist der entscheidende
Unterschied; dort bleibt die Aufhebung des dualistischen Gegen-
satzes von Gott und Welt ein dunkles Rätsel, dessen Lösung man
im Dämmern eines apokalyptischen Tages erwartet. Hier ist das
Rätsel gelöst, und sein Tag ewig angebrochen, „Gott zum Ruhme,
dem Vater“. In solchem Unterschied aber bekundet sich nichts
anderes als die grundsätzlich notwendige metaphysische Bestimmt-
heit der gläubigen Geltung. Sie scheidet alle überkommenen dog-
matischen Bindungen an eine bestimmte Geschichte eines bestimm-
ten Volkes aus; ob sie gleich historisch nur aus den Mächten dieser
Tradition begreifbar ist, so lebt sie doch grundsätzlich in dem gött-
lichen Sinn aller Geschichte. Und notwendig wird ihr die Form
eines Mythos, in der urzeitliche und endzeitliche, kosmologische
und eschatologische Motive sich verbinden. Denn der Mythos
ist die reine und reife Frucht jener Metaphysik des Glaubens, die
wohl im religiösen Sinn der Geschichte lebt, aber auch nur an der
Geschichte sich entfaltet.
So ist es tief in dem Gedankengefüge des Psalmes begründet,
daß das Prinzip des Glaubens nur von der Seite seiner metaphy-
sischen Bestimmtheit erfaßt wird und das Moment der Geschichte
1 Sinn und Gehalt dieser Benennung in der Verkündung Jesu kann hier
nicht behandelt, ebenso wenig gezeigt werden, daß wohl nur in ihr der schöpfe-
rische Ursprung der späteren urchristlichen Deutungen gefunden werden kann.
 
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