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Arthur Allgeier:
schrift Δ = Cod. 48 der Stiftsbibliothek von St. Gallen, welche
H. G. M. Rettig 1836 faksimiliert hat. Nach St. Gallen weist auch
die Randnotiz am Schluß von Ps. 29: hucusque scripsi, hic incipit
cid Marcellum nunc. Man hat diesen Marcellus wohl mit Recht
mit jenem Marcellus bzw. Moengal zusammengebracht, der 853 bis
865 die Schreiberschule in St. Gallen leitete.
In dem Rasier Psalter A. VII 3 liegt demnach ein LXX-Text
vor, wie er in St. Gallen im 9. Jahrh. in Gebrauch war. Damit
will nicht gesagt sein, daß in St. Gallen nur diese Textform bekannt
war; auch nicht, daß 100 -Jahre zuvor nicht noch andere Text-
formen in Umlauf waren. Aber man gelangt doch in unvergleichlich
sicherere Nähe zu Q, als wenn man sich damit begnügen würde,
einfach einen der bekannten klassischen LXX-Zeugen oder gar nur
einen LXX-Druck den edierten altlateinischen Bruchstücken gegen-
überzuhalten. Auch die bloße Konfrontierung mit dem von Rahlfs
rekonstruierten Vulgärtext böte methodische Bedenken.
Nachdem ich daher den lateinischen Apparat auf Handschriften
gestellt habe, die möglichst gleichzeitig und geographisch wie
kulturell möglichst aus der Umwelt von St. Gallen gewählt sind,
schien es mir empfehlenswert, die LXX nach D zu bieten. Um
dem Leser jedoch die Eigenart dieser Überlieferung sofort erkennen
zu lassen, sind die Varianten von B bzw., für die große Lücke in
B, von »X vollständig angemerkt. Auch Orthographien sind hier
mitgeteilt, und gerade sie dürften in diesem Zusammenhang
wertvoll sein. Die Textvergleichung ergibt auf den ersten Blick,
wie bereits Rahlfs auf Grund der Kollationen von Lagarde konstatiert
hat, daß D zur sog. Vulgärüberlieferung gehört. Der griechische
Text hat viele Mängel. Er scheint nach Diktat geschrieben zu sein.
Daher die zahlreichen Verwechslungen in hellenistischer und neu-
griechischer Zeit gleichlautender Vokalzeichen wie t, η, υ, ει oder
e und cu, Assimilationen wie εμ μεσω u. dgl. Der Schreiber
muß manchmal das, was er niederschrieb, nicht mehr verstanden
haben. Sonst hätte er den Text nicht so unsinnig abgesetzt wie
93, 9 OYK-ATANOG > ou κατανοεί; 101, 6 TOYC · ΤΕΝΑΓΜΟΥ Y
του στεναγμού und sonst noch an vielen anderen Stellen. Anderer-
seits ist aber doch das Prinzip, Wörter durch Punkte abzugrenzen,
auch nicht auf sein persönliches Konto zu setzen. So verfuhr man
in griechischen Handschriften auch schon früher, und zwar auf
griechischem Boden. Auch die Abkürzungen für die Nomina sacra
sind nicht im Okzident erfunden, sondern dieselben, wie sie in
Arthur Allgeier:
schrift Δ = Cod. 48 der Stiftsbibliothek von St. Gallen, welche
H. G. M. Rettig 1836 faksimiliert hat. Nach St. Gallen weist auch
die Randnotiz am Schluß von Ps. 29: hucusque scripsi, hic incipit
cid Marcellum nunc. Man hat diesen Marcellus wohl mit Recht
mit jenem Marcellus bzw. Moengal zusammengebracht, der 853 bis
865 die Schreiberschule in St. Gallen leitete.
In dem Rasier Psalter A. VII 3 liegt demnach ein LXX-Text
vor, wie er in St. Gallen im 9. Jahrh. in Gebrauch war. Damit
will nicht gesagt sein, daß in St. Gallen nur diese Textform bekannt
war; auch nicht, daß 100 -Jahre zuvor nicht noch andere Text-
formen in Umlauf waren. Aber man gelangt doch in unvergleichlich
sicherere Nähe zu Q, als wenn man sich damit begnügen würde,
einfach einen der bekannten klassischen LXX-Zeugen oder gar nur
einen LXX-Druck den edierten altlateinischen Bruchstücken gegen-
überzuhalten. Auch die bloße Konfrontierung mit dem von Rahlfs
rekonstruierten Vulgärtext böte methodische Bedenken.
Nachdem ich daher den lateinischen Apparat auf Handschriften
gestellt habe, die möglichst gleichzeitig und geographisch wie
kulturell möglichst aus der Umwelt von St. Gallen gewählt sind,
schien es mir empfehlenswert, die LXX nach D zu bieten. Um
dem Leser jedoch die Eigenart dieser Überlieferung sofort erkennen
zu lassen, sind die Varianten von B bzw., für die große Lücke in
B, von »X vollständig angemerkt. Auch Orthographien sind hier
mitgeteilt, und gerade sie dürften in diesem Zusammenhang
wertvoll sein. Die Textvergleichung ergibt auf den ersten Blick,
wie bereits Rahlfs auf Grund der Kollationen von Lagarde konstatiert
hat, daß D zur sog. Vulgärüberlieferung gehört. Der griechische
Text hat viele Mängel. Er scheint nach Diktat geschrieben zu sein.
Daher die zahlreichen Verwechslungen in hellenistischer und neu-
griechischer Zeit gleichlautender Vokalzeichen wie t, η, υ, ει oder
e und cu, Assimilationen wie εμ μεσω u. dgl. Der Schreiber
muß manchmal das, was er niederschrieb, nicht mehr verstanden
haben. Sonst hätte er den Text nicht so unsinnig abgesetzt wie
93, 9 OYK-ATANOG > ou κατανοεί; 101, 6 TOYC · ΤΕΝΑΓΜΟΥ Y
του στεναγμού und sonst noch an vielen anderen Stellen. Anderer-
seits ist aber doch das Prinzip, Wörter durch Punkte abzugrenzen,
auch nicht auf sein persönliches Konto zu setzen. So verfuhr man
in griechischen Handschriften auch schon früher, und zwar auf
griechischem Boden. Auch die Abkürzungen für die Nomina sacra
sind nicht im Okzident erfunden, sondern dieselben, wie sie in