Ein Proklos-Fund und seine Bedeutung.
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Die Handschrift, auf die hier angespielt wird, ist eben unser
Cod. Cusan. 186 mit der Übersetzung des Parmenides-Kommen-
tars. Dies Manuskript gibt die lebendigste Kunde von der Be-
deutung, die Cusanus dem Werk des Proklos zumaß. Die zahl-
reichen Textbesserungen von seiner Hand zeigen, wie der große
Philosoph hier selbst die Mühe philologischer Kritik des über-
lieferten Textes nicht scheut; von den eigenen Verbesserungen
abgesehen, ist die ganze Schrift überdies in seinem Auftrag von
einer Humanisten-Hand durchkorrigiert, die durch den Vergleich
mit anderen Cusanischen Manuskripten als die des oben genann-
ten Giovanni Andrea zu erkennen ist, jenes Abbas Johan-
nes, den Cusanus in zweien seiner Werke als Dialog-Person auf-
treten läßt, in De N ο η A1 i u d mit dem ausdrücklichen Hinweis auf
seine besondere Vertrautheit mit dem Parmenides-Kommentar1.
Am wertvollsten aber sind uns die Randbemerkungen des
Cusanus, die den Text von Anfang bis Ende umrahmen; wertvoll
nicht nur deshalb, weil sie zeigen, wie Cusanus liest, wie er sich
jeden wesentlich scheinenden Gedanken des betreffenden Autors
kurz zusammenfassend vergegenwärtigt, sondern vor allem darum,
Aveil wir in den Werken der Spätzeit, in De Beryllo, De Non
Aliud, DeVenationeSapientiae eine unmittelbare Anwendung
der Formulierungen dieser Marginalien zum PROKLOS-Text vor uns
haben — weil die Predigt 'Tu quis es ?’2, die ja eine ausführliche
philosophische Abhandlung über das oberste Prinzip darstellt, in
engster Anlehnung an den Parmenides-Kommentar verfaßt ist
und die als Frucht der PROKLOS-Lektüre erwachsenen Marginalien
zum Teil wörtlich übernimmt3. Und zwar bezieht sich der größte
Teil der hier benutzten Randnoten gerade auf den neugefundenen
Schlußteil des VII. Buches des Proklischen Werkes, dessen Inhalt
den Philosophen der Docta Ignorantia besonders fesseln mußte, da
er hier die für ihn entscheidende Frage nach dem Verhältnis von
Sagen und Denken zur Gotteserkenntnis von Proklos behandelt
fand. —
Der Verschiedenheit der Schriftzüge und der Tinten nach
lassen sich unter den Randbemerkungen, oft zum gleichen Text,
3 Gruppen unterscheiden, die erweisen, daß Cusanus den größten
1 De Non Aliud, cap. I., ed. Uebinger, Münster 1888, pag. 150.
2 Vom 9. Juni 1459; von den Herausgebern als erste Predigt der Samm-
lung der Predigten vorangestellt; ed. parisin. tom. II., fol. 7r—llv.
3 Vgl. Beilage IV.
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Die Handschrift, auf die hier angespielt wird, ist eben unser
Cod. Cusan. 186 mit der Übersetzung des Parmenides-Kommen-
tars. Dies Manuskript gibt die lebendigste Kunde von der Be-
deutung, die Cusanus dem Werk des Proklos zumaß. Die zahl-
reichen Textbesserungen von seiner Hand zeigen, wie der große
Philosoph hier selbst die Mühe philologischer Kritik des über-
lieferten Textes nicht scheut; von den eigenen Verbesserungen
abgesehen, ist die ganze Schrift überdies in seinem Auftrag von
einer Humanisten-Hand durchkorrigiert, die durch den Vergleich
mit anderen Cusanischen Manuskripten als die des oben genann-
ten Giovanni Andrea zu erkennen ist, jenes Abbas Johan-
nes, den Cusanus in zweien seiner Werke als Dialog-Person auf-
treten läßt, in De N ο η A1 i u d mit dem ausdrücklichen Hinweis auf
seine besondere Vertrautheit mit dem Parmenides-Kommentar1.
Am wertvollsten aber sind uns die Randbemerkungen des
Cusanus, die den Text von Anfang bis Ende umrahmen; wertvoll
nicht nur deshalb, weil sie zeigen, wie Cusanus liest, wie er sich
jeden wesentlich scheinenden Gedanken des betreffenden Autors
kurz zusammenfassend vergegenwärtigt, sondern vor allem darum,
Aveil wir in den Werken der Spätzeit, in De Beryllo, De Non
Aliud, DeVenationeSapientiae eine unmittelbare Anwendung
der Formulierungen dieser Marginalien zum PROKLOS-Text vor uns
haben — weil die Predigt 'Tu quis es ?’2, die ja eine ausführliche
philosophische Abhandlung über das oberste Prinzip darstellt, in
engster Anlehnung an den Parmenides-Kommentar verfaßt ist
und die als Frucht der PROKLOS-Lektüre erwachsenen Marginalien
zum Teil wörtlich übernimmt3. Und zwar bezieht sich der größte
Teil der hier benutzten Randnoten gerade auf den neugefundenen
Schlußteil des VII. Buches des Proklischen Werkes, dessen Inhalt
den Philosophen der Docta Ignorantia besonders fesseln mußte, da
er hier die für ihn entscheidende Frage nach dem Verhältnis von
Sagen und Denken zur Gotteserkenntnis von Proklos behandelt
fand. —
Der Verschiedenheit der Schriftzüge und der Tinten nach
lassen sich unter den Randbemerkungen, oft zum gleichen Text,
3 Gruppen unterscheiden, die erweisen, daß Cusanus den größten
1 De Non Aliud, cap. I., ed. Uebinger, Münster 1888, pag. 150.
2 Vom 9. Juni 1459; von den Herausgebern als erste Predigt der Samm-
lung der Predigten vorangestellt; ed. parisin. tom. II., fol. 7r—llv.
3 Vgl. Beilage IV.