Studien zur Kirchen- und Reichsreform des 15. Jahrhunderts.
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Notmaßnahmen als ein Abweichen vom Recht oder aber als Aus-
nahmefälle innerhalb des Rechts ansahen, ist er den umgekehrten
Weg gegangen: Die auch von ihm praktisch als Regel festgehaltene
päpstliche Konzilsberufung ist theoretisch nicht ein Recht, von
dem die Not abgehen kann, sondern eine usurpierte Gewohnheit,
die geduldet wird, solange sie nicht schadet. Die päpstliche Be-
rufung eine geduldete Usurpation: Das hat Dietrich in seiner Ein-
leitung zu beweisen gesucht, aber freilich mit fremden Gedanken.
Denn zu dem negativen Ergebnis: kein alleiniges Berufungsrecht
des Papstes, kommt er mit einer Darstellung des Apostelkonzils
und einer Geschichte des päpstlichen Primates, die beide, mit
wenigen Zusätzen und Streichungen, Wort für Wort dem Defensor
Pacis des Marsilius von Padua entnommen sind: Keine originäre
Berufungsgewalt des Petrus auf Grund der Schrift; auch wenn
Petrus de facto berufen haben sollte, daraus keine originäre Gewalt
über die anderen Apostel zu folgern; wahlweise Anerkennung
eines bloßen Ehrenprimats durch die Apostel, der ausdrücklich
nur eine Vorzugsstellung in der Versammlung, aber nicht deren
Berufung einschließt; Zusammenkommen der Bischöfe und Priester
bis zur Zeit Konstantins, von Fall zu Fall, als Selbstversammlung
durch den moralischen Einfluß einzelner (nach Analogie des Zu-
standekommens von Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag im
Staate); in derselben Zeit eine inhaltliche Erweiterung des Pri-
mates durch — weiterhin freiwilligen —■ Gehorsam über den bloßen
Ehrenprimat hinaus, sogar mit Ausbildung einer quasigewohnheits-
rechtlichen römischen Strafgewalt. Dann die Neuerungen seit Kon-
stantin: seit seiner Regierung öffentliche Versammlungen der
Christen; kaiserliche Verleihung des Primats (mit seinem bisher
ausgebildeten Inhalt) an den römischen Bischof in der konstan-
tinischen Schenkung. Daraufhin bei Schwäche des Reiches usur-
patorische Ausdehnung des Primats durch die Päpste in formeller
und materieller Hinsicht: sie führen ihn in wachsendem Maße,
nach anfänglichem Schwanken, statt auf kaiserliche Verleihung
auf göttliche Einsetzung zurück, und sie dehnen seinen Inhalt
innerhalb der Kirche aus, bis zum Anspruch der Plenitudo pote-
statis, von hier aus die Herrschaft auch über die Staaten erstrebend.
Auf Grund dieser Geschichte1, so fährt Dietrich mit seinen
1 Unten S. 35: Ex hiis ... ist doch wohl auf den ganzen Zusammen-
hang zu beziehen, nicht nur auf die im letzten Satz besprochene Ausdehnung
der Plenitudo potestatis auf die Staaten.
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Notmaßnahmen als ein Abweichen vom Recht oder aber als Aus-
nahmefälle innerhalb des Rechts ansahen, ist er den umgekehrten
Weg gegangen: Die auch von ihm praktisch als Regel festgehaltene
päpstliche Konzilsberufung ist theoretisch nicht ein Recht, von
dem die Not abgehen kann, sondern eine usurpierte Gewohnheit,
die geduldet wird, solange sie nicht schadet. Die päpstliche Be-
rufung eine geduldete Usurpation: Das hat Dietrich in seiner Ein-
leitung zu beweisen gesucht, aber freilich mit fremden Gedanken.
Denn zu dem negativen Ergebnis: kein alleiniges Berufungsrecht
des Papstes, kommt er mit einer Darstellung des Apostelkonzils
und einer Geschichte des päpstlichen Primates, die beide, mit
wenigen Zusätzen und Streichungen, Wort für Wort dem Defensor
Pacis des Marsilius von Padua entnommen sind: Keine originäre
Berufungsgewalt des Petrus auf Grund der Schrift; auch wenn
Petrus de facto berufen haben sollte, daraus keine originäre Gewalt
über die anderen Apostel zu folgern; wahlweise Anerkennung
eines bloßen Ehrenprimats durch die Apostel, der ausdrücklich
nur eine Vorzugsstellung in der Versammlung, aber nicht deren
Berufung einschließt; Zusammenkommen der Bischöfe und Priester
bis zur Zeit Konstantins, von Fall zu Fall, als Selbstversammlung
durch den moralischen Einfluß einzelner (nach Analogie des Zu-
standekommens von Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag im
Staate); in derselben Zeit eine inhaltliche Erweiterung des Pri-
mates durch — weiterhin freiwilligen —■ Gehorsam über den bloßen
Ehrenprimat hinaus, sogar mit Ausbildung einer quasigewohnheits-
rechtlichen römischen Strafgewalt. Dann die Neuerungen seit Kon-
stantin: seit seiner Regierung öffentliche Versammlungen der
Christen; kaiserliche Verleihung des Primats (mit seinem bisher
ausgebildeten Inhalt) an den römischen Bischof in der konstan-
tinischen Schenkung. Daraufhin bei Schwäche des Reiches usur-
patorische Ausdehnung des Primats durch die Päpste in formeller
und materieller Hinsicht: sie führen ihn in wachsendem Maße,
nach anfänglichem Schwanken, statt auf kaiserliche Verleihung
auf göttliche Einsetzung zurück, und sie dehnen seinen Inhalt
innerhalb der Kirche aus, bis zum Anspruch der Plenitudo pote-
statis, von hier aus die Herrschaft auch über die Staaten erstrebend.
Auf Grund dieser Geschichte1, so fährt Dietrich mit seinen
1 Unten S. 35: Ex hiis ... ist doch wohl auf den ganzen Zusammen-
hang zu beziehen, nicht nur auf die im letzten Satz besprochene Ausdehnung
der Plenitudo potestatis auf die Staaten.