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Ernst Levy:
Die Lex Varia von 91 v. Chr. z. B. bedrohte den Majestäts-
verbrecher der Sache nach mit dem Tode* 1, aber der im Jahre 90
verurteilte Cotta2 eiectus est e civitate (Cic. de orat 3, 11; vgl. auch
Brutus 303. 305) und kam so mit dem gleichen Ergebnis davon,
das schon 80 Jahre vorher den wegen perduellio angeklagten
Zensoren gedroht hatte.3 Roscius Amerinus mußte (a. 80 v. Chr.)
als parricidii accusatüs mit der poena cullei rechnen (Cic. p. Rose.
30. 72. 149 f.), und doch fürchtet Cicero für den Fall der Ver-
urteilung ernstlich nur die Ejektion (ibid. 6).4 Gegen Rabirius, der
sich vor den duoviri perduellionis i. J. 63 zu verantworten hat5,
sind schon alle Vorbereitungen zur Geißelung und Kreuzigung ge-
troffen, aber Cicero interzediert (p. Rabir. 10. 11), und die nun im
normalen Gleis sich bewegende dimicatio capitis (§5; clefensio capitis
§ 1) vor den Komitien führt schlimmstenfalls dazu, daß der
bejahrte Angeklagte dereinst darauf verzichten muß, in heimischer
Erde die letzte Ruhe zu finden (§ 37). Der Verlauf wird ein so
regelmäßiger6, daß in der Anschauung des Volkes und damit auch
in der Rhetorik sich Schuldspruch und Interdiktion, Interdiktion und
tatsächliche Auswanderung ohne weiteres miteinander verbinden.
Schon der Auctor ad Herennium (a. 86—82) könnte das letztere
vielleicht nahelegen7:
2. 45 i. f.: proinde quasi non omnes, quibus aqua et igni
interdictum est, exules appellentur;
ja ganz ausdrücklich. Wie sich Cicero in Sachen des deditus auf die Seite des
Brutus schlug, ohne das Bestehen einer Streitfrage auch nur anzudeuten (top.
37; p. Caec. 98 i. f.; vgl. de Visscher aaO. 460 ff.), so könnte er es auch in
Sachen des Interdizierten getan haben — wenigstens in den beiden Reden,
während er Clodius gegenüber (Parad. cit.) den entgegengesetzten Standpunkt
für vorteilhafter hielt. Die Staatsraison war gewiß bei Scaevolas Lehre besser
aufgehoben (ebenso de Visscher; vgl. Mommsen 46 ß, und ihm folgen denn
auch die Digestenjuristen.
1 Vgl. Mommsen 1982.
2 Vgl. auch Lengle, Untersuchungen über die sullaniwche Verfassung (Freib.
phil. Dies. 1899) 33.
3 S. ob. S. 19.
4 S. insoweit auch Mommsen 6743; ferner u. S. 281.
5 Über diesen vielumstrittenen Prozeß jetzt Strachan-Dayidson I 188 ff.;
Costa II 87 ff., auch Münzer (ob. S. 19 3) 1801; weniger fördernd Mommsen 581 f.,
588ß Lengle 27 h
6 Vgl. auch den Fall der Lex Julia agraria vom Jahre 59 (u. S. 342).
7 Sein Gegensatz ist dort allerdings ein anderer; beweisend dafür erst
Cic. par. 4, 31 (ob. S. 21J).
Ernst Levy:
Die Lex Varia von 91 v. Chr. z. B. bedrohte den Majestäts-
verbrecher der Sache nach mit dem Tode* 1, aber der im Jahre 90
verurteilte Cotta2 eiectus est e civitate (Cic. de orat 3, 11; vgl. auch
Brutus 303. 305) und kam so mit dem gleichen Ergebnis davon,
das schon 80 Jahre vorher den wegen perduellio angeklagten
Zensoren gedroht hatte.3 Roscius Amerinus mußte (a. 80 v. Chr.)
als parricidii accusatüs mit der poena cullei rechnen (Cic. p. Rose.
30. 72. 149 f.), und doch fürchtet Cicero für den Fall der Ver-
urteilung ernstlich nur die Ejektion (ibid. 6).4 Gegen Rabirius, der
sich vor den duoviri perduellionis i. J. 63 zu verantworten hat5,
sind schon alle Vorbereitungen zur Geißelung und Kreuzigung ge-
troffen, aber Cicero interzediert (p. Rabir. 10. 11), und die nun im
normalen Gleis sich bewegende dimicatio capitis (§5; clefensio capitis
§ 1) vor den Komitien führt schlimmstenfalls dazu, daß der
bejahrte Angeklagte dereinst darauf verzichten muß, in heimischer
Erde die letzte Ruhe zu finden (§ 37). Der Verlauf wird ein so
regelmäßiger6, daß in der Anschauung des Volkes und damit auch
in der Rhetorik sich Schuldspruch und Interdiktion, Interdiktion und
tatsächliche Auswanderung ohne weiteres miteinander verbinden.
Schon der Auctor ad Herennium (a. 86—82) könnte das letztere
vielleicht nahelegen7:
2. 45 i. f.: proinde quasi non omnes, quibus aqua et igni
interdictum est, exules appellentur;
ja ganz ausdrücklich. Wie sich Cicero in Sachen des deditus auf die Seite des
Brutus schlug, ohne das Bestehen einer Streitfrage auch nur anzudeuten (top.
37; p. Caec. 98 i. f.; vgl. de Visscher aaO. 460 ff.), so könnte er es auch in
Sachen des Interdizierten getan haben — wenigstens in den beiden Reden,
während er Clodius gegenüber (Parad. cit.) den entgegengesetzten Standpunkt
für vorteilhafter hielt. Die Staatsraison war gewiß bei Scaevolas Lehre besser
aufgehoben (ebenso de Visscher; vgl. Mommsen 46 ß, und ihm folgen denn
auch die Digestenjuristen.
1 Vgl. Mommsen 1982.
2 Vgl. auch Lengle, Untersuchungen über die sullaniwche Verfassung (Freib.
phil. Dies. 1899) 33.
3 S. ob. S. 19.
4 S. insoweit auch Mommsen 6743; ferner u. S. 281.
5 Über diesen vielumstrittenen Prozeß jetzt Strachan-Dayidson I 188 ff.;
Costa II 87 ff., auch Münzer (ob. S. 19 3) 1801; weniger fördernd Mommsen 581 f.,
588ß Lengle 27 h
6 Vgl. auch den Fall der Lex Julia agraria vom Jahre 59 (u. S. 342).
7 Sein Gegensatz ist dort allerdings ein anderer; beweisend dafür erst
Cic. par. 4, 31 (ob. S. 21J).