Die römische Kapitalstrafe.
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Rolle ebensosehr ausgespielt gehabt wie das iudicium publicum.
Man wollte jedoch augenscheinlich die Errungenschaften nicht
preisgeben, die die verschiedensten Teile des Rechtssystems aus
beiden Begriffen1 gewonnen hatten. Darum zog man es vor, das
Band zwischen dem iudicium publicum und der Prozeßform zu
zerschneiden. Während noch Quinktilian vom Standpunkt des
ersten Jahrhunderts aus die Kognition als den maßgebenden Gegen-
satz betrachtet2 und noch in der Mitte des zweiten Mauricianus
diese Anschauung teilt3, haben die Spätklassiker mit dem alten
Begriff gebrochen. Für sie sind iudicia publica nunmehr die,
quae ex legibus iudiciorum publicorum veniunt ut Julia
maiestatis, Julia de adulteriis.(Macer D. 48, 1, 1)
und dies auch dann, wenn sie im Wege der Kognition verhandeln
und entscheiden.4 Die Ausrichtung auf den materiellen Ver-
brechenstatbestand rettete fürs erste dem iudicium publicum die
Lebenskraft und damit zugleich dem capüaüs-Begriff, den die
klassische Epoche auch fernerhin mit dem publicum-'&Qgxiff ver-
bunden zeigt. So lehrt Paulus, offenbar an der Stelle, wo er den
Leser des Ediktskommentars mit den «Kapitalsachen» erstmals
bekannt macht5, (15 ed.; Nr. 260) D. eod. 2:
1 Auf den iudicio publico damnatus (damnari) beziehen sich viele Gesetze,
z. B. die Lex Acilia repet. Z. 11. 13. 16, die Lex Cornelia de sicariis (Cic.
p. Cluent. 148; Marc. D. 48, 8, 1, 1), die Tab. Heracl. Z. 117. 119 und nament-
lich die Leges Juliae: ein so Verurteilter ist zeugnisunfähig (Call. D. 22,
5, 3, 5), nur beschränkt ehefähig (Ulp. Epit. 13, 2; D. 23, 2, 43, 10—12; vgl.
Paul. D. eod. 47), im Ehebruchsprozeß nur mit beschränktem ius accusandi
ausgestattet (Ulp. D. 48, 2, 4) und als Ehebrecher erweitertem Tötungsrecht
ausgesetzt (Macer D. 48, 5, 25 pr.; Paul. Coli. 4, 3, 3). Über die Heeresdienst-
unfähigkeit Menand. D. 49, 16, 4, 7. — Ferner zum iudic. publicum z. B.
[Paul.] sent. Brev. 1, 5, 2 + Cons. 6, 21 (calumnia); Macer D. 48, 1, 7 (betreffend
das Infamieedikt Lenel § .15; s. gleich im Text); das Edikt Lenel § 16 (D. 3,
2, 1) und dazu namentlich Pap. D. 50, 2, 6, 3. — Es trifft also nicht zu, daß
der Unterschied zwischen crimina (richtig iudicia [u. S. 696]) publica und crimina
extraordinaria für die Klassiker nur noch ein ricordo storico gewesen sei (so
Ferrini, Dir. pen. rom. 45, Espos. 28).
2 Inst. orat. 3, 10, 1: Quod nunc in publicis iudiciis non accidit, quoniam
praetor certa lege sortitur, principum autem et senatus cognitionibus frequens est
et populi fuit.
3 Ulp. Epit 13, 2: . . . et iudicio publico damnatam.: adicit Mauricianus
et a senatu damnatam.
4 Vgl. teilweise (s. u. S. 696) Mommsen 192 f., übrigens ohne Macer zu
nennen.
3 S. ob. S. 44.
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Rolle ebensosehr ausgespielt gehabt wie das iudicium publicum.
Man wollte jedoch augenscheinlich die Errungenschaften nicht
preisgeben, die die verschiedensten Teile des Rechtssystems aus
beiden Begriffen1 gewonnen hatten. Darum zog man es vor, das
Band zwischen dem iudicium publicum und der Prozeßform zu
zerschneiden. Während noch Quinktilian vom Standpunkt des
ersten Jahrhunderts aus die Kognition als den maßgebenden Gegen-
satz betrachtet2 und noch in der Mitte des zweiten Mauricianus
diese Anschauung teilt3, haben die Spätklassiker mit dem alten
Begriff gebrochen. Für sie sind iudicia publica nunmehr die,
quae ex legibus iudiciorum publicorum veniunt ut Julia
maiestatis, Julia de adulteriis.(Macer D. 48, 1, 1)
und dies auch dann, wenn sie im Wege der Kognition verhandeln
und entscheiden.4 Die Ausrichtung auf den materiellen Ver-
brechenstatbestand rettete fürs erste dem iudicium publicum die
Lebenskraft und damit zugleich dem capüaüs-Begriff, den die
klassische Epoche auch fernerhin mit dem publicum-'&Qgxiff ver-
bunden zeigt. So lehrt Paulus, offenbar an der Stelle, wo er den
Leser des Ediktskommentars mit den «Kapitalsachen» erstmals
bekannt macht5, (15 ed.; Nr. 260) D. eod. 2:
1 Auf den iudicio publico damnatus (damnari) beziehen sich viele Gesetze,
z. B. die Lex Acilia repet. Z. 11. 13. 16, die Lex Cornelia de sicariis (Cic.
p. Cluent. 148; Marc. D. 48, 8, 1, 1), die Tab. Heracl. Z. 117. 119 und nament-
lich die Leges Juliae: ein so Verurteilter ist zeugnisunfähig (Call. D. 22,
5, 3, 5), nur beschränkt ehefähig (Ulp. Epit. 13, 2; D. 23, 2, 43, 10—12; vgl.
Paul. D. eod. 47), im Ehebruchsprozeß nur mit beschränktem ius accusandi
ausgestattet (Ulp. D. 48, 2, 4) und als Ehebrecher erweitertem Tötungsrecht
ausgesetzt (Macer D. 48, 5, 25 pr.; Paul. Coli. 4, 3, 3). Über die Heeresdienst-
unfähigkeit Menand. D. 49, 16, 4, 7. — Ferner zum iudic. publicum z. B.
[Paul.] sent. Brev. 1, 5, 2 + Cons. 6, 21 (calumnia); Macer D. 48, 1, 7 (betreffend
das Infamieedikt Lenel § .15; s. gleich im Text); das Edikt Lenel § 16 (D. 3,
2, 1) und dazu namentlich Pap. D. 50, 2, 6, 3. — Es trifft also nicht zu, daß
der Unterschied zwischen crimina (richtig iudicia [u. S. 696]) publica und crimina
extraordinaria für die Klassiker nur noch ein ricordo storico gewesen sei (so
Ferrini, Dir. pen. rom. 45, Espos. 28).
2 Inst. orat. 3, 10, 1: Quod nunc in publicis iudiciis non accidit, quoniam
praetor certa lege sortitur, principum autem et senatus cognitionibus frequens est
et populi fuit.
3 Ulp. Epit 13, 2: . . . et iudicio publico damnatam.: adicit Mauricianus
et a senatu damnatam.
4 Vgl. teilweise (s. u. S. 696) Mommsen 192 f., übrigens ohne Macer zu
nennen.
3 S. ob. S. 44.