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Weinreich, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1930/31, 7. Abhandlung): Fabel, Aretalogie, Novelle: Beiträge zu Phädrus, Petron, Martial und Apuleius — Heidelberg, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.40158#0012
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12

Otto Weinreich:

„reine Novelle“, wofür sie Thiele und andre halten.1 Die Art von
Kleinliteratur, der die Vorlage zuzuweisen ist, war zur Zeit als Thiele
schrieb, noch weniger bekannt, ich meine die novellistische Areta-
logie, jene bald gläubigen, bald spielerischen fabulae, die Götter-
macht und Menschenlos hübsch und unterhaltsam verflechten.2 Soll
man zur Zeit eines Stesichoros, Archilochos, Hesiod geglaubt haben,
daß Aphrodite einen Sturm entfeßle, nur um mittels eines Esels
einen Hans und seine Grete zusammenzubringenP Die „Götter-
burleske“ kann man da nicht heranziehen.
Thiele sagt: „In der gesamten antiken Überlieferung findet sich
leider keine weitere Spur der Novelle.“ Das stimmt nur für die
Fabelliteratur, denn auch der Äsop des Romulus hat die Geschichte
nicht. Ehe wir aber mit Hilfe einer anderen Quelle versuchen, die
Art der Vorlage schärfer zu umgrenzen, ist es methodisch geboten,
Phädrus selbst noch mehr auszunützen. Sehr unvermittelt tritt
Veneris misericorclia (15) auf; aber bei breiterer Exposition, wo die
Liebe auch des Mädchens zum armen Liebhaber explicite ausein-
andergesetzt war, versteht sich ihr Eingreifen leichter, das rührende
Paar steht von Anfang·an unter ihrem Schutz.3 Zu der überknappen
und etwas verworrenen Erzählung des Phädrus bis zum Eintritt
des Sturmes und Wetters steht die ausführliche und gehobene
Schilderung des Unwetters in starkem Gegensatz: da wird engerer
Anschluß an die Vorlage anzunehmen sein. Es gibt im Phädrus
eine ähnliche Schilderung, und zwar gerade in einem „Götterschwank“
(Juppiter und die Plundegesandtschaft) IV, 18, 22ff.:
1 Hausrath-Marx, Griech. Märchen 2 63 geben eine hübsche Übersetzung des
Stückes; S. XV wird es als „Ansatz zu einer Liebesnovelle“ bezeichnet; Lucas,
Sokrates 7, 359 spricht von einer „schönen Novelle“. W. Gemoll, Das Apo-
phthegma (1924) 93 erzählt nur den Inhalt, ohne zu merken, wie wenig gerade
solche Stücke für seine These dienen können, die Fabeln seien aus dem Apo-
phthegma entstanden. Auch Wienert a. a. 0. S. 37 ordnet sie unter den „reinen
Novellen“ ein, neben app. 13 (treulose Witwe), Äsop 109 (Witwe und Bauer),
Ph. III, 10 (eifersüchtiger Ehemann). Gerade diese Stücke, deren zwei erste wir
in Kap. III behandeln, erweisen, daß unseres noch eine Besonderheit hat.
2 Zu solcher Kleinliteratur in Prosa und Versen, deren Fülle und Mannig-
faltigkeit im Ton man sich kaum groß genug denken kann, vgl. Reitzenstein,
Hellenist. Wundererzählungen; Werner und Kerenyi (oben S. 6 A. 2); Immisch,
N. Jahrb. 47, 1921, 41S. Jetzt vor allem die von Immisch angeregte Dissertation
von A. Kiefer, Aretalogische Studien, Frbg. 1929.
3 Aphrodites Gunst wirkt am Wiesel, das in einen Jüngling verliebt ist, das
Wunder seiner Verwandlung in ein Weib: Babrius 32; weiteres dazu bei Rohde,
Kl. Sehr. II, 212ff. Thiele, 346. Wienert 45.
 
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