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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0015
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Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.

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mangels kaiserlicher Ratifikation nur bis zum Reichsgutachten21,
das dann von den meisten Hochschulstaaten landesgesetzlich er-
lassen wurde und besonders eine übereinstimmende Relegations-
praxis zum Ziel hatte.
Hat man recht, das Bild dieser Kämpfe zwischen Staatsgewalt
und Studententum zu vereinfachen und aus dem Scheitern der ge-
planten Reichsgesetzgebung zu schließen, „daß die Studenten,
selbst wenn sie sich in Verbindungen zusammengeschlossen hatten,
gar nicht so gefährlich waren . . . Denn die Tage, wo die Studenten
als Macht vereinigt gegen die Staatsgewalt auftraten, waren vor-
bei22“ ? Ich meine, daß diese für die hier untersuchten Zusammen-
hänge grundsätzlich wichtige Frage mindestens nicht unbedingt zu
bejahen ist. Nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Fingerzeig
dafür ist m. E. das Auftreten des 1793 nach Jena berufenen und
sogleich durch seine Montagspublika mit der Kirchenbehörde in
Konflikt geratenen Fichte als Reformator des Verbindungswesens
1795.
Die grobe Bemerkung des Geschichtsschreibers der Corps23, er
sei „wie die meisten aus gedrückten Verhältnissen Herstammenden
Feind alles flotten Burschentums“ gewesen, ist gewiß kaum mehr
als materialistische Geschichtsauffassung mit umgekehrtem Vor-
zeichen. Aber die gewaltige Leidenschaft, mit der Fichte in der
Tat während seiner ganzen Lehrtätigkeit für besonders strenge und
(wir werden sehen) vor allem auch gouvernementale Universitäts-
disziplin eingetreten ist, ist natürlich auch wiederum keine bloße
Nachwirkung der Steine, die nach dem Scheitern seines Vermitt-
lungsversuchs zwischen „Orden“ und Regierung von Studenten-
hand in seine Fenster flogen, ihn zum Auszug nach Oßmannstädt
bewogen und nach Goethes ironischem Wort „von der Existenz
eines Nicht-Ich überzeugten24“. Irre ich nicht, so sind es verschie-
dene übereinander gelagerte Schichten von Fichtes Persönlichkeit,
die ihm ein Verständnis sowohl der überlieferten wie der zeit-
genössischen Regungen der deutschen Studentenschaft erschwerten.
21 Wortlaut Ssymank a. a. O. 291. Vgl. Hartung a. a. 0. 170 (irrig
„Reichskonklusum“).
22 Hartung a. a. O. 171. Der oben ausgelassene Satz lautet: „Es war
gewiß nicht nötig, daß Preußen sic durch ein Edikt von 1798 mit der Prügel-
strafe bedrohte“.
23 Fabricius 263.
24 Etwas wie die Erregung darüber glaubt man freilich noch nach einem
Menschenalter in der Biographie seines Sohnes (1, 330ff.) zu spüren.
 
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