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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0033
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Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.

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Demoiselle Dienstmädchen’ schreiben; es fehlt nur noch, um die
verkehrte Welt vollends durchzuspielen, der Herr Lehr- und Dienst-
junge. Mit starken Schritten nähern wir Deutsche uns dem indi-
schen Kastensystem und werden dadurch am Ende die Parias unter
Europas Völkern, weil alle kräftigen Regierungen des Auslandes
auf ein festes Volkstumbilden hinarbeiten.“
Es ist gewiß für den modernen Menschen zumindest ein sehr
paradoxes Empfinden, das die ständische Gesellschaft als die lebens-
volle und gerechte, die sich egalisierende umgekehrt als ein Kasten-
wesen empfindet. Es ist gleichsam die Urdemokratie, die gegen die
abgeleitete und formale Demokratie der Neuzeit aufsteht. Es ist
sicher der vornehmste Grund, weshalb diese Gedanken ein Jahr-
hundert lang so gut wie vergessen gewesen sind. Wir müssen sie
aber für das folgende scharf im Auge behalten57.
Sehe ich recht, so sind Jahns Formulierungen, mögen sie nun
mehr persönliche Schöpfung oder mehr Ausdruck des sich aus den
unteren Mittelständen erhebenden deutschen Volksgeistes sein, auch
für ganz bestimmte, eben damals von der geistigen Führerschicht
aufgenommene Organisationsgedanken maßgebend geworden. Im
Kapitel des „Deutschen Volkstums“ über die Kirche heißt der vor-
letzte Abschnitt „Deutschheit und LTrchristentum“ (S. 223 ff.) Er
knüpft an das 1807/8 erschienene Buch des Hallenser Fichtegegners
J. A. Eberhard über den „Geist des Urchristentums“ an und
sagt: „Keiner, der auf geschichtliche Bündigkeit Anspruch macht
und die Mühe gründlicher Untersuchung sich nicht verdrießen läßt,
wird nun aber der Selbstfrage entgehen können, warum nur unter
Deutschen die ersten Wiederhersteller des Urchristentums ent-
standen, warum nur hier alle von diesem Geist ergriffene Völker-
schaften die Sache als volkstümlichen Gegenstand ansahen und als
wahre Volksangelegenheit betrieben . . . Welches von allen noch
lebenden Volkstümern dem reinen Christentum am meisten zu-
sagt ? Unmöglich wird das Endurteil für ein anderes als für das
echte, unverfälschte, menschheitliehe Deutsche Volkstum aus-
fallend4 Hier ist, meine ich, der Ursprung des Begriffs „christlich-
deutsch“ oder „christlich-germanisch“, der von Adam Müllers,

57 Die „sozialethische“ (übrigens in vielem verdienstliche) Schrift von
P. Piechowski über Jahn (Gotha 1928), die alles auf den „tragischen Zwie-
spalt“ (S. 115) zwischen Aufklärung und Romantik hinausspielt, ist weit vom
Verständnis dieser Dinge.

Sitzungsberichte d.Heidelb. Akad., phil.-hist. Kl. 1931/32. 3. Abh.

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