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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0035
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Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.

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diese Einkehr des deutschen Staatsdenkens zu den Müttern ist eine
der Wurzeln des Nationalismus von 1800.
Ehen in diesem Geiste des Realismus müßte nun auch den
äußeren Entstehungsbedingungen des deutschen studentischen
Nationalismus nachgegangen werden. Gegenüber Jahn, dem
„Privatlehrer“, ist Arndt der Professor, dem schon in jungen
Jahren eine breite Kathederwirkung vergönnt war62. Denn das
war eines der ausschlaggebenden Momente in der neuen Gestaltung
der deutschen Universität dieser Zeit, daß nun im übereinstimmen-
den Sinne der liberalen, romantischen und volkstümlichen Forde-
rungen eine neue Professorengeneration in starker Auflockerung
des alten Fachunterrichts durch neue Lehrinhalte und Lehrformen
frische Verbindungen mit dem Leben der Nation stiftete. Auf
Kosten des zeitweilig sinkenden Ansehens von Jena und Göttingen
schien sich eine solche lebendige Wissenschaft am schönsten un-
mittelbar vor der Katastrophe von 1806 in Halle zu eröffnen. Hier
saß als Salinendirektor in Giebichenstein der alte ostpreußische Hof-
kapellmeister Friedrichs des Grossen Johann Friedrich Rei-
chardt, den Friedrich Wilhelm II. wegen allzu wilden Republi-
kanismus natte versetzen müssen. Hier erweiterte sein Schwieger-
sohn, der Norweger Henrich Steffens, in nicht immer korrektem
deutschen Kathedervortrag die Mineralogie des Freiberger Reviers
unter Schellings Einfluß zur gottheitstrunkenen Naturphilosophie.
Hier erhob der einstige Hauslehrer der Dohnas in Schlobitten,
Schleiermacher, den Pietismus zu einer platonischen Religions-
philosophie63. Für die Universitätsverfassung konnten diese Wand-
lungen nicht weniger bedeutungsvoll sein als für die Wissenschaft.
„Es ist nur in äußerst seltenen Fällen ratsam,“ hatte die Tradition
des alten Jahrhunderts geurteilt64,“ irgendeinen außerordentlichen
Mann, der nicht bloß als Schriftsteller, sondern auch als Lehrer
sehr berühmt ist, mit einer ungewöhnlich starken Besoldung auf
eine hohe Schule zu ziehen. Der Ruhm akademischer Lehrer ist
ein sehr ungewisses Ding. Manche Männer hatten auf einer Uni-
versität, wo sie sich zuerst hoben, einen großen Beifall, und ver-
loren diesen Beifall, sobald sie auf eine andere hohe Schule ver-
62 Daß er außer in Greifswald auch in Jena und Halle Jahns Lehrer
gewesen sei, ist wohl eine versehentliche Behauptung von Nadler a. a. O. 483.
83 Das beste, weil von einem reiferen Studenten gesehene Bild dieser
Atmosphäre bei Varnhagen, Denkwürdigkeiten 1, 326ff.
64 Meiners a. a. O. 1, 60f.

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