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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0058
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58

Carl Brinkmann:

zeigte sich bereits im siebzehnten Jahrhundert. Schon seit dem
Westfälischen Frieden ward bei politischen Verhandlungen, Trak-
taten, Besitznehmungen nicht mehr Sprache, Religion, Urpopu-
lation eines Landes scharf berücksichtigt. Die Erde oder der Erd-
ball ward als eine Substanz betrachtet, die das Erbteil der Mensch-
heit ist, wo das Bedürfnis mehrere Gesellschaften gebildet, die von
verschiedenen Regentendynastien beherrscht werden. Diese . . .
nennt man zwar Staaten; indes es ist nicht die Naturgrenze, die
Sprache oder das Urvolk, das einen Boden in Besitz hat, wodurch
ein Staat das Gepräge der Individualität jetzt noch einzig und
allein hat. Vielmehr ist es die Regierung, die mehrere Natur-
grenzen, mehrere verschieden sprechende Nationen und mehrere
Urvölker unter ihrer Botmäßigkeit oder rechtlichen Handhabung
zusammenhält, die den Staat bildet . . . Wir wollen nun einmal
unsern Germanomanen, die den Mund immer so voll nehmen, die
in der Deutschheit das Ding jol'i z^oyjjv sehen, die von dem deut-
schen LIrvolk, von der deutschen Ursprache, von der Integrität,
welche man Deutschland zu erhalten verpflichtet ist, nie genug
sprechen können, den Standpunkt der vorhandenen Staaten und
Regierungen unter die Augen bringen und sie fragen: woher sie für
Deutschland eine abgerundete, geschlossene und selbständige Ver-
fassung hernehmen wollen ? Lind wenn es der Fall wäre, wenn Aus-
sicht, dieser Forderung zu genügen, vorhanden sein sollte, warum
sie der deutschen Nation vor allen andern, vor den Ungarn, Polen,
Italienern, Tirolern, ja selbst Franzosen eine solche abgeschlossene
Selbständigkeit anwünschen möchten ?“
Wie seltsam leistete hier der reaktionäre Liberalismus des
völkerrechtlichen Status quo den Regierungen des Wiener Kon-
gresses und der Heiligen Allianz seine Schergendienste gegen das
aufgehende deutsche Volkstum113. Der Gegensatz sowohl gegen die
nationalen wie gegen die demokratischen Ideale der Befreiungs-
113 Kulturgeschichtlich vgl. S. 42f.: ,,Es verlautet schon, daß das Lied
der Nibelungen die Stelle der Ilias und Odyssee auf den Schulen vertreten soll
und daß von manchem Minne- und Meistersänger Schulausgaben veranstaltet
werden, um sie den Knaben anstatt des Pindar und Horaz in die Hände zu
geben. Schade nur, daß Versuche der Art eben den Erfolg haben werden,
wie das Bestreben, die Meisterwerke eines Lessing, Schiller und Kotzebue
durch die Alarkos und Jon usw. zu verdrängen.“ Übrigens folgt hier Ascher
wieder unmittelbar Kotzebue, der in seinen „Politischen Flugblättern“ das
Nibelungenlied als Schullektüre bekämpfte, weil der Charakter Siegfrieds
Napoleon ähnele! Vgl. Czygan a. a. O. 115.
 
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