Der Nationalismus und die deutschen Universitäten.
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biograplien H. Pröhle von dem „zur Eitelkeit verkümmerten
stolzen Charakter nachzuschreiben“ (Körner a. a. 0. 82), sollte
man deshalb den Zeitgenossen und Gegner Henrich Steffens
hören, der von seiner persönlichen Bekanntschaft mit Jahn be-
richtet127: „Er interessierte mich, ich will es nicht leugnen. Aber
eben die Macht, die er ausübte, war mir grauenhaft . . . Ein Mann,
der eine solche Macht ausübt, war mir schon als ein solcher, als ein
mächtig geschichtlicher Naturgegenstand anziehend und wichtig“.
Wie wir heute das Führerproblem wissenschaftlich und erlebend
verstehend, ist das genau das, was wir erwarten würden. Aber
dann geht es erst recht nicht an, zu behaupten, es habe sich bei
der „Turnfehde“ am Ende des zweiten Jahrzehnts des vorigen
Jahrhunderts lediglich um die Person Jahns gehandelt (Körner 73).
Denn bei der geistigen Wechselwirkung alles echten geistigen Füh-
rens und Geführtseins wird auch das zweite um so dämonischer, je
dämonischer sich das erste erweist.
Nun ist m. E. bisher zu wenig beachtet worden, daß in der
bunten Reihe der Turngegner neben Steffens’ romantischem Idea-
lismus128 und Kotzebues sogleich noch näher zu bezeichnender
Schreiberei in seinem „Literarischen Wochenblatt“ auch die merk-
würdige Gestalt des Professors am Berliner Kadettenhaus Fried-
127 Was ich erlebte 8 (Brest 1843), 3081'. Ebd. die Anekdote, wie Jahn
ihm 1817 über die „Gefahr“ seiner „geistigen Plumpheit“ die Augen geöffnet
habe, indem er ein aushängendes Kupfer der Sixtinischen Madonna als „mit
einer durchaus verwerflichen lockenden Sinnlichkeit entworfen“ bezeichnete!
128 Seine sehr interessante Streitschrift „Turnziel“ (Brest 1818) führt
z. B. S. 11 Off. aus, Dichter und Philosophen hätten mit Recht „die Armut
unserer Tage“, das Verschwinden der „herrlichen Volksfeste“, die Verstüm-
melung der „schönen Volkslieder“ beklagt, und schilt dann die Turner: „Was
habt ihr getan? Die Knaben und Jünglinge in großen Haufen gesammelt,
damit sich aus ihrem Zusammenleben ein Volk bilden solle . . . Ein öffentliches
Leben nennt ihr dieses leere, armselige Zusammenleben durch hohle Begriffe
von einem Vaterlande, das nirgends ist, durch Spiele, die in ihrer Allgemein-
heit keinen Sinn haben, dürftig zusammengehalten . . . Wie mit den Liedern
insbesondere verhält es sich mit der Sprache überhaupt — der eigentliche
Ausdruck der inneren Armseligkeit unserer Ansichten.“ Die genau spiegel-
bildliche Gegenansicht in Jahns Brief über Steffens vom 7. Nov. 1818
(ed. Meyer a. a. 0. 125f.): „Es [Steffens’ „Karikaturen des Heiligsten“]
ist die Nützlichkeitslehre der vornehmen Leute. Ein Volk will er nicht, weil
er einen Pöbel haben muß, der ihm hofiert . . . Hinterher wird dann wieder
viel vom weinerlichen Tee-Christentum gewässert; denn der Dünkrich hat
wie der Hecht das Kreuz im Kopf, aber nicht im Herzen . . . Das dickleibige
Buch hat ihm Löbel[l, Schüler Niebuhrs], ein getaufter Jude zu Breslau,
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biograplien H. Pröhle von dem „zur Eitelkeit verkümmerten
stolzen Charakter nachzuschreiben“ (Körner a. a. 0. 82), sollte
man deshalb den Zeitgenossen und Gegner Henrich Steffens
hören, der von seiner persönlichen Bekanntschaft mit Jahn be-
richtet127: „Er interessierte mich, ich will es nicht leugnen. Aber
eben die Macht, die er ausübte, war mir grauenhaft . . . Ein Mann,
der eine solche Macht ausübt, war mir schon als ein solcher, als ein
mächtig geschichtlicher Naturgegenstand anziehend und wichtig“.
Wie wir heute das Führerproblem wissenschaftlich und erlebend
verstehend, ist das genau das, was wir erwarten würden. Aber
dann geht es erst recht nicht an, zu behaupten, es habe sich bei
der „Turnfehde“ am Ende des zweiten Jahrzehnts des vorigen
Jahrhunderts lediglich um die Person Jahns gehandelt (Körner 73).
Denn bei der geistigen Wechselwirkung alles echten geistigen Füh-
rens und Geführtseins wird auch das zweite um so dämonischer, je
dämonischer sich das erste erweist.
Nun ist m. E. bisher zu wenig beachtet worden, daß in der
bunten Reihe der Turngegner neben Steffens’ romantischem Idea-
lismus128 und Kotzebues sogleich noch näher zu bezeichnender
Schreiberei in seinem „Literarischen Wochenblatt“ auch die merk-
würdige Gestalt des Professors am Berliner Kadettenhaus Fried-
127 Was ich erlebte 8 (Brest 1843), 3081'. Ebd. die Anekdote, wie Jahn
ihm 1817 über die „Gefahr“ seiner „geistigen Plumpheit“ die Augen geöffnet
habe, indem er ein aushängendes Kupfer der Sixtinischen Madonna als „mit
einer durchaus verwerflichen lockenden Sinnlichkeit entworfen“ bezeichnete!
128 Seine sehr interessante Streitschrift „Turnziel“ (Brest 1818) führt
z. B. S. 11 Off. aus, Dichter und Philosophen hätten mit Recht „die Armut
unserer Tage“, das Verschwinden der „herrlichen Volksfeste“, die Verstüm-
melung der „schönen Volkslieder“ beklagt, und schilt dann die Turner: „Was
habt ihr getan? Die Knaben und Jünglinge in großen Haufen gesammelt,
damit sich aus ihrem Zusammenleben ein Volk bilden solle . . . Ein öffentliches
Leben nennt ihr dieses leere, armselige Zusammenleben durch hohle Begriffe
von einem Vaterlande, das nirgends ist, durch Spiele, die in ihrer Allgemein-
heit keinen Sinn haben, dürftig zusammengehalten . . . Wie mit den Liedern
insbesondere verhält es sich mit der Sprache überhaupt — der eigentliche
Ausdruck der inneren Armseligkeit unserer Ansichten.“ Die genau spiegel-
bildliche Gegenansicht in Jahns Brief über Steffens vom 7. Nov. 1818
(ed. Meyer a. a. 0. 125f.): „Es [Steffens’ „Karikaturen des Heiligsten“]
ist die Nützlichkeitslehre der vornehmen Leute. Ein Volk will er nicht, weil
er einen Pöbel haben muß, der ihm hofiert . . . Hinterher wird dann wieder
viel vom weinerlichen Tee-Christentum gewässert; denn der Dünkrich hat
wie der Hecht das Kreuz im Kopf, aber nicht im Herzen . . . Das dickleibige
Buch hat ihm Löbel[l, Schüler Niebuhrs], ein getaufter Jude zu Breslau,
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