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Brinkmann, Carl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1931/32, 3. Abhandlung): Der Nationalismus und die deutschen Universitäten im Zeitalter der deutschen Erhebung — Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.40161#0068
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68

Carl Brinkmann:

rich Wadzeck auftaucht, dessen Schriften in den Geschichts-
darstellungen als Opfer der Verbrennungsszene auf dem Wartburg-
fest erwähnt zu werden pflegen. An der Seite nicht nur Schmäl-
zens, Kotzebues und Aschers, sondern auch von Karl Ludwig
v. Hallers „Restauration der Staatswissenschaften“ machten sie
dort eine gewiß zunächst die Naivität, dann aber auch die breite
Front ihrer jugendlichen Todfeinde kennzeichnende Erscheinung.
Gerade die Gegnerschaft Wadzecks gegen die studentisch-turne-
rische Jugendbewegung ist aber um deswillen so bemerkenswert,
weil sie diese Bewegung einmal nicht wie sonst im Kampfe mit
konservativer oder liberaler Gouvernementalität, sondern von einem
wesentlich „modernen“ Menschen- und Gesinnungstypus her als
selber „reaktionär“ zeigt. Wadzeck, ein Predigersohn der bekann-
ten tschechischen Weberkolonie in Berlin und ein Zögling des
Hallischen Waisenhauses, ist in seiner Vereinigung von pietistischem
und freimaurerisch-aufklärerischem Fanatismus unter allen Ge-
stalten dieser Epoche die, die am meisten dem frühen Sozialismus
der dreißiger und vierziger Jahre ähnelt. Seine bis in neuere Zeiten
berühmte Tätigkeit als Organisator der privaten Berliner Kinder-
fürsorge (noch die KaiserinFRiEDRiCH ist Protektorin des „Wadzeck-
Hauses“ gewesen) birgt die gleiche unergründliche Mischung von
Menschenliebe und Klassenressentiment; nach den leider spär-
lichen Akten des Preußischen Geheimen Staatsarchivs über ihn129
war ihm die Bloßstellung der Schwächen der amtlichen Berliner
Armendirektion kaum weniger Zweck als seine jugendpflegerischen
Reformen, und die wütenden Angriffe seines „Berlinischen Wochen-
blatts für Bürger und Landleute“ gegen die „Überheblichkeit der
Turnjugend“ hatten den Unterton einer gewissen versetzten
Feindseligkeit, der Jahn derb wie gewöhnlich heimzahlte, wenn
er auf seinem Turnplatz eine Sammelbüchse für den ,,armen“
Wadzeck auf stellte. Über die näheren Gründe seiner Amts-
entsetzung, die 1818 mit einer in der Tat strafweise niedrigen
Pension erfolgte, habe trotz der freundlichen Hilfe der Preußischen
durchmustern müssen, da Steffens weder im Rechtlernen noch im Recht-
schreiben seine Stärke hat.“ In Gegenwart Fr. Passows und H. F. Mass-
manns habe ihm Steffens gesagt: „Wenn ich glauben müßte, daß die Menge
gut wäre (oder nur werden könnte), so schösse ich mich morgen tot.“
129 Das Wesentlichste daraus schon von E. Friedländer, ADB. 40
(1896), 465ff. benützt. Die ganze Jahnliteratur vernachlässigt die wichtige
.Episode. Wadzeck spricht in Eingaben gelegentlich von seinem „rücksichts-
losen“ Bestreben, der Menschheit zu nützen.
 
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