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Immisch, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 2. Abhandlung): Catulls Sappho — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.40167#0005
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Catulls Sappho

a

irgendwie in den Gedanken Anhalt oder gar Vorbild gehabt haben,
die hei Sappho auf die Pathologie folgten. Aber das ist später ge-
nauer vorzunehmen. Für den Augenblick sind uns andere Folge-
rungen dringlicher.
Sapphos Lied, insofern sie es einer im religiösen Brauch ver-
wurzelten Typik unterstellt, gründet damit letztlich auf einem
Gemeinempfinden. Und wenn dieses auch in der Sonderform auf-
tritt, die es im geschlossenen Kreis des Musen-Thiasos annimmt, ein
Gemeinempfinden ist es eben doch, in Form wie Inhalt gebunden
durch die Tradition von Gesellschaft und Verband. Bei Catull da-
gegen handelt es sich um vollste Einmaligkeit und um ein aus-
schließlich persönliches Anliegen. Da ist reine Ich-Lyrik. Nieman-
dem kann bei ihm z. B. auch nur der Gedanke kommen, die Leidens-
phänomenologie des Entbehrenden sei mittelbar ein Beitrag zu
einem obligaten gattungsmäßig geforderten Makarismos der Be-
glückten.
Diese ausgesprochene Subjektivität verstärkt sich weiterhin
durch eine Beobachtung, in welcher mit Snell eine zweite neueste
Catullinterpretation zusammentraf, von Ilse Schnelle, Pliilol.
Suppl. XXV 1933,17 ff1. Bei Sappho haben wir das rein visuelle Bild
eines der Erlebenden gegenwärtigen Zustandes; bei Catull handelt
es sich um die Erinnerung an wiederholt Erlebtes: qui identidem
te spectat et audit, und in der Form des iterativen Temporalsatzes:
simul te adspexi, nihil est super mi [vocis in ore: was wir unter
den möglichen Ergänzungen des verlorenen Adonius eingesetzt
haben]. Darin liegt: dort plastisch-lebensvolle Gegenwart, hier
Mitwirken des Gedächtnisses und damit — Gedanklichkeit,
als solche, wie man leicht sieht, das Subjektive der Mitteilung be-
günstigend. — Nun die Leidensphänomenologie selber in ihren
Einzelheiten! Bei Sappho ist sie in doppelter Hinsicht noch völlig
archaisch (ein Reiz, der auch in der römischen Umbildung minde-
stens nachklingt und gewiß auch nachklingen sollte). Da ist zu-
nächst die volle Körperlichkeit aller dieser „Sichtbarkeiten41 des
1 Ich hebe das um so lieber hervor, als ich im ganzen nicht zu glauben
vermag, die dem Andenken R. Heinzes gewidmete Schrift sei in der vor-
liegenden Form in dessen Sinne. Es ist streckenweise ein arges Wortfeuerwerk,
dem niemand hilfloser gegenüberstehen würde als der Dichter selbst, über
dessen Intentionen es aufklären soll. Wie könnte man. ihm beispielsweise
auf lateinisch klar machen, er habe an bestimmter Stelle eine so schöne Sache
beabsichtigt wie eine „thematragende rahmende Augenblicksdynamik“? Der
Vorteil nichtlateinischer Abfassung der Dissertationen hat auch seine Kehrseite.
 
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