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Immisch, Otto; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 2. Abhandlung): Catulls Sappho — Heidelberg, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.40167#0010
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10

Otto Immisch:

an dieser Stelle seinerseits Schluß machte, wozu ihm ein voller Aus-
klang erwünscht sein mußte, nicht das bloße xupiov, sondern ein
xaTsoxeuaajjievov. Deshalb vertauscht er zunächst die Folge der bei-
den Symptome. Ohrensausen ist unangenehm, doch nicht eben
was schlimmes. Ganz anders wenn das Augenlicht versagt; das
kann als einigermaßen gleichgewichtig gelten mit dem Sterbe-
gefühl, das bei Sappho Gipfel und Abschluß bildet. Dem erwünsch-
ten Vollklang aber in der Fermate dient außer der allitterierenden
und lautmalenden Erweiterung sonitu suopte die geradezu erhabene
Wendung gemina teguntur lumina nocte, wo schon Lumina als po-
etischer Ausdruck wirkt, indessen mehr noch die umrahmende Wort-
stellung und vor allem die Enallage, die gemina zu nocte zieht statt
zu lumina, deshalb besonders eindrucksvoll, weil die Figur hei
Catull selten ist (die Beispiele hei Kroll). Selbst wenn sie aus-
nahmsweise einmal auch in den nugae erscheint, wie 7, 5, so will sie
doch auch da ein u<Lo<; erzielen, allerdings anders wie hier, d. h. mit
skurrilem Spiel gravitätisch irgend ein mythisches doctum in das ga-
lante genus facetum et tenue einmischend (oraclum Jovis inter aestuosi
et Batti veteris sa.crum sepulcrum). Hier dagegen soll die xaxaaxsuT)
nur erhaben wirken: Wucht und Fülle des abschließenden Voll-
klangs. Man sieht, warum ich das betone. Es schließt vollkommen
aus, was Kranz ein 'kurzes Abbrechen5 nannte. Wer eine Gedanken-
folge aus Überdruß, oder weil er sie als bedrohlich empfindet, fallen
läßt und fortwirft, der gibt ihr nicht vorher ein aufs sorgfältigste
gefülltes, geschmücktes und gerundetes Finale.
Eben dieses Finale ist es denn auch, was das von Kranz ver-
tretene unmittelbare Anfügen der Otiumstrophe unmöglich macht.
Das war übrigens im Grund nichts als eine Erneuerung der Birt-
schen Auffassung (Philol. N. F. XVII 1904, 438ff., in größerem
Zusammenhang, doch nicht überzeugender, wiederaufgenommen
Rhein. Mus. LXXX 1931, 245 ff.), der nur ganz ohne Not in diesem
wie in allen Fällen, wo bei Catull die so natürliche dichterische
Selbstanrede erscheint, den spezifisch römischen Genius als Sprecher
bemüht, welchen adsiduus observator Catulls schon er ganz so ver-
fahren läßt, wie Kranz es sich für den Dichter selbst denkt. Er
„faßt den Schwärmenden am Ohr; er zwingt ihn, die Übersetzung
des Sapphogedichts unfertig, wohlgemerkt unfertig abzu-
brechen, indem er abrupt (!) das Mahnwort hinwirft: 'Der
Müßiggang, Catull, belästigt Dich; denn er macht Dich übermütig5

usw.
 
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