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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0014
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Wolfgang Schadewaldt

ist Niobe festgebannt an die Stätte, wo ihre Kinder in dem unter-
irdischen Neste zusammengeschichtet ruhn; doch nicht um ins
Leben zu erwachen, sondern der Verwesung im Arm.“ Ich merke
nur an, daß man zwischen das Naturbild und seine Anwendung auf
Niobe wohl für die Erfindung des Dichters das Bild der hockenden
verhüllten Leidtragenden schalten muß, das wir aus der bildenden
Kunst vielfach kennen; auch kam es dem Dichter wohl mehr auf die
sichtbare Ähnlichkeit dieser Hockerstellung als auf das lebenschaf-
fende Brüten an. Wie dem aber sei: man stelle sich vor, die einge-
hüllt auf dem Grabe auf der Bühne hockende Niobe spräche von
sich selbst: 'seht wie ich hier brütend hocke usw.’: welches άπρεπές!
Die volle Kraft dieses ungewöhnlich starken Ausdrucks wäre dahin.
Denn zu diesem Hocken gehört die Verhülltheit, die Stummheit,
das tiefe Versunkensein in den Gram. Nur im Munde einer andern
Person, die dem Zuschauer das Bild mit Worten deutet, das ihm
greifbar vor Augen steht, entfaltet der Ausdruck seine volle Macht,
seine einprägsame Gewalt. Nur aus der Rede einer andern Person
ist jenes Bild vom Dichter konzipiert.
Mit Absicht bin ich bisher nicht auf die Ergänzungen und das
was sie für die Frage der Sprecherin lehren, eingegangen. Doch sei
nun daran erinnert, daß in 21 den Raum gerade χαυτη γάρ, keines-
falls aber κάγώ γάρ füllt (oben S. 7)1.
Ob man die Frau — eine solche muß es als Vertraute der Niobe
gewesen sein — noch heute mit Namen benennen kann, ist für die
Tatsache selbst nicht entscheidend. Denn die Tragiker hatten
immer die Möglichkeit, sich die für die Handlung erforderlichen
Nebenpersonen sei es aus dem Mythos sei es sonstwie zu besorgen.
Da sichere Anhaltspunkte fehlen, muß es beim vagen Vermuten
bleiben. Aber möglich und gut geeignet wäre etwa Antiope, die als
Mutter des Amphion im Palaste des Sohnes das Unheil der Niobe
miterlebt haben konnte2 . Man hat schon früher aus anderenGrün-
1 Auch an 11 τήσδε ist zu erinnern. Substantivisches οδέ für die dritte
Person (Mer da’) ist geläufig (z. B. Pr. 632 τήν τήσδε ίστορήσωμεν νόσον); für
die erste Person kenne ich bei Aischylos nur den adjektivischen Gebrauch, wie
,Ag. 1438 κεΐτοα γυναικός τήσδε λυμαντήριος. Auch bei Sophokles verzeichnet
Ellendt für substantivisches όδε = rich’ nur zwei Beispiele Tr. 305. 1012.
Vgl. Bruhn zu Tr. 305. An beiden Stellen steht das Demonstrativpronomen
neben einem Partizip, das die Beziehung verdeutlicht. Danach weist das
τήσδε im Pap. auf eine gegenwärtige, aber nicht selbst redende Niobe.
2 Mütter-Rollen sind bei den Tragikern nicht selten: die Königin in den
Persern, Aithra in Eur. Hiketiden, Alkmene in den Herakliden, die Eltern des
Admet in der Alkestis, Iokaste in den Phoinissen usw.
 
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