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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0020
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20

Wolfgang SchadeWaldt

Alles in allem ergibt sich folgender Zusammenhang. Wir stehen
inmitten einer Szene, wo eine Vertraute der Niobe in Gegenwart der
verhüllt auf dem Grabe hockenden Gestalt (τήσδε 11) einem nicht
genau eingeweihten Chor, der aus Frauen bestanden haben wird, den
Hergang von Niobes Unheil schildert. Die Chorverse 10—-13 bilden
den Übergang von einem Abschnitt dieser Erzählung zum andern.
Schematisch ausgedrückt: die Verse x—1—9 behandeln 'Kata-
strophe und Schmerz der Niobe’, die Verse 14—21—y behandeln
'Niobes Vergehen’. Die Chorverse sind das Scharnier, das die lange
Erzählung dramatisch gliedert. Der Gedanke an Tantalos und
seine zu erwartende Enttäuschung muß gerade diesem Chor nahe-
gelegen haben -— wir werden noch sehen, warum. Die Erzählungs-
szene als ganze ist so angelegt, daß vom zeitlich späteren (d. h.
näheren) zum zeitlich früheren (d. h. entfernteren) zurückgeschritten
wird. Dies gerade ist archaische Erzählungsweise* 1,
δέ ναυσί συμβολής τίς ήν φράσον die Königin nach der Frage nach den Ge-
fallenen 296 und der nach der Menge der Schiffe 333 den 'Titel’ des dritten
Teils des Botenberichtes angibt), Prom. 500. Prom. 40. 391. 439. Ag. 1018.
1491. Ein aus dem früheren Teil des Berichts vom Chor wieder aufgegriffener
'Titel’ wäre auch Φοίβος, und mit der Frage, 'welchen Groll er hegte, daß er die
Niobiden tötete’, gäbe der Chor den sicheren Haltepunkt für den neuen Ab-
schnitt des Berichts über Niobes Vergehen. Aber wie Maas mir völlig zu-
treffend bemerkt, müßte man einen So-Begriff, etwa πρόρριζον ώδε erwarten,
der mit der Ergänzung am Anfang von 12 τίς δ’ ώ]δε doch zu notdürftig herein-
gebracht wird. Entscheidend ist aber, daß die Verbindung μήνις τις, κότος
τις, λοιμού τις σκηπτδς (Eum. 314. 500. 889. Pers. 715) so fest ist, daß sie auch
an unserer Stelle nicht zerstört werden darf. Nicht auf die Statistik an sich
kommt es dabei an. Aber in allen genannten Fällen bezeichnet das indefinite
Pronomen, wie bei dem seit Homer häufigen -9-εός τις, θεών τις, die grauen-
volle Unbestimmtheit einer noch als magisch empfundenen göttlichen Wirkung;
das τις verstärkt und verdeutlicht das unheilvoll Unberechenbare, das schon
an sich in Begriffen wie μήνις, κότος, μένος liegt. — Die Frage würde denAnschluß
von 14 strenger machen, aber auch das einfache Verweilen des Chorführers
bei dem Gehörten in Gedanken an Tantalos reicht aus, um den neuen Abschnitt
des vielleicht ähnlich wie im Prometheus ausgedehnten Berichtes zu gliedern,
und diese lockere Gesprächführung ist wohl um so aischyleischer. — Beiläufig:
auch Eur. Tro. 979 ist nicht θεών τίνος (Murray), sondern θεών τίνος zu lesen.
1 Bei dieser Gelegenheit sei auf die merkwürdig sorglose und gerade darin
so frische Gestaltung der Reihenfolge der Erzählung Prom. 631 hingewiesen.
630 ist Prometheus nach einigem Zögern schon drauf und dran, der Io ihre
Zukunft zu enthüllen. Da fällt der Chor ihm ins Wort: 'Noch nicht. Zuerst
soll Io ihre Schicksale berichten, dann weise Du ihr den Ausgang ihrer Leiden’.
Demgemäß verläuft die Gesamterzählung von los Schicksal, Vergangenheit und
Zukunft so, daß der Hörer alles in richtiger zeitlicher Reihenfolge zu vernehmen
bekommt. Es ist, als könnte man hier einmal mit Händen greifen, wie in dem
 
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