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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1933/34, 3. Abhandlung): Die Niobe des Aischylos — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.40168#0025
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Die Niobe des Aischylos

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wenn Tantalos eben wegen ihrer 'Bergung’ eintraf. — Hier fragen
wir weiter: Tantalos auftretend mit der bestimmten Absicht, die
Tochter zu 'bringen’ — ja wohin denn ? Ich will mich nicht darauf
berufen, daß κομίζειν, κομιδή, κομιστής gerade in der Tragödie
die 'Heimholung’, den 'Heimholer’ und Verwandtes bezeichnen und
in dieser Bedeutung eigens im Totenkult terminologisch gebraucht
zu werden scheinen1. Es liegt, meine ich, in der Natur der Sache,
daß der Vater kommt, um seine schwer getroffene Tochter 'heim-
zubringen’. Dann ergibt sich weiter, daß Niobe gegenwärtig nicht
im Hause des Vaters, sondern des Gatten, und das heißt: nicht in
Lydien, sondern sehr wahrscheinlich in Theben ist2 *.
Daß der Schauplatz der Handlung Theben sein könne, hat
Hermann zwar ausdrücklich abgelehnt (44): „(Tantalum) si (poeta)
finxisset Thebas venisse vel ad consolandam vel ad abducendam(!)
filiam, fecisset quod valde alienum est ab antiquioris tragoediae
simplicitate, ut inveniret quod nulla fabularum veterum fide nite-
retur.“ Nun, unser Papyrus zeigt zwingend: 're vera ad abducen-
dam filiam Tantalum esse venturum’. Das verändert die Sachlage,
und wir werden nun doch dem Dichter die nicht unerhörte Freiheit
verstatten, den Tantalos auch ohne Autorisierung durch den Mythos
nach Theben kommen zu lassen, zumal er ja nur als Niobes Vater,
nicht sozusagen als Vertreter des Tantalosmythos in dem Stück wirkt.
In der Tat sprechen für Theben eine ganze Beihe von Indizien, die
den Leugnern des thebanischen Handlungsschauplatzes schon lange
Schwierigkeiten gemacht haben. 1. Wenn Euripides in der Mauer-
schau der Phoinissen die Niobidengräber zeigen läßt, so kannte er
sich nach der Art seines auch sonst feststellbaren topographischen
1 Man prüfe folgende Stellenauswahl: Aisch. Choeph. 682ff. (Botschaft
über den angeblichen Tod des Orest) τεθνεώτ’ Όρέστην είπέ, μηδαμώς λάθη *
είτ’ ούν (τόνδ5 ε ί unnötig Wilamowitz) κομίζειν δόξα νικήσει φίλιον, ε’ίτ’ ούν μέτοικον
εις τό παν αεί ξένον θάπτειν . . . Eur. Andr. 1264: Peleus soll nach Delphi gehen
νεκρόν κομίζων τόνδε, später wird Thetis mit dem als κομιστής dienenden Ne-
reiden-Chor kommen, um Peleus ins Haus des Nereus zu geleiten (1267): . .
λαβοΰσα πεντήκοντα Νηρήδων χορόν ελθο^ κομιστήν σου. Hik. 52 The-
seus soll νεκρών κομιστής werden und τάφου μεταίτιος. Hek. 222 den Odysseus
und Gefolge hat das Heer beordert, πομπούς καί κομιστήρας der Polyxena zu
sein, die zur Opferung geführt werden soll. Hek. 671 άτάρ τί νεκρόν τόνδε μοι
Πολυξένης ήκεις κομίζουσα; Ilik. 273. 126 κομίσαι (vgl. 130 θάψαι νεκρούς) 495
θάπτων κομίζων τε (Ilysteronproteron). 754. Bakch. 1225 κομίζομαι τον κατθα-
νόντα παΐδα.
2Anzunehmen daß Niobe zwar in Lydien, aber nicht im Hause des
Vaters ist, ergäbe eine unmögliche Komplizierung.
 
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