Metadaten

Tellenbach, Gerd; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1934/35, 1. Abhandlung): Roemischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des fruehen Mittelalters — Heidelberg, 1934

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.40170#0037
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Römischer und christlicher Reichsgedanke.

31

so ist das gar nicht so wenig. Denn man muß bedenken, daß uns
im ganzen nur fünf überliefert sind, diese zwei also als Repräsen-
tanten einer beträchtlichen Gruppe unter den meist verlorenen
Handschriften angesehen werden müssen1.
Andererseits darf es als sehr wahrscheinlich gelten, daß weniger
die Verehrung des fremdartigen römischen Reiches als die Achtung
vor der römisch-kirchlichen Überlieferung das Gebet für das Im-
perium Romanum so verhältnismäßig häufig unangetastet gelassen
hat. Die Wahrscheinlichkeit wird noch größer, wenn wir bemerken,
daß nach der Pippinischen Liturgiereform und der raschen Verbrei-
tung der römischen Texte es beinahe üblich wird, für das Imperium
Romanum sive (vel, atque2) Francorum zu beten. Daß die Fran-
ken, wie man gemeint hat, daran gedacht haben, für zwei Reiche zu
beten3, leuchtet mir nicht ein. Ich halte es vielmehr für gewiß,
daß sie durch derartige Korrekturen trotz Beibehaltung des echten
Textes solche Gebete für ihre Gemeinden sinnvoll machen und den
realen Verhältnissen anpassen wollten4. Daß das römische Reich,
wenn auch nur als unlebendige Formel in der Liturgie der Franken
erhalten blieb, ist freilich nicht bedeutungslos. Inden Reihen des ge-
bildeteren Klerus wurde dadurch das Gedenken an die Herrlichkeit
des römischen Reiches der Vergangenheit und auch das der Gegen-
wart wachgehalten5.

1 Vgl. o. S. 19, Anm. 2 und die Varianten in Abschn. IV. Man kann
nach dem handschriftlichen Befund auch nicht, wie Held mann S. 40 sagen,
daß vor der Pippinischen Reform das Karfreitagsgebet in den fränkischen
Kirchen unbekannt gewesen sei. Außer dem Missale Gallicanum und dem
Reg. lat. 316 ist es wohl auch dem Missale Francorum eigen gewesen, von
dem bekanntlich bloß ein Fragment überliefert ist. Vgl. gegen Heldmann
Hirsch S. 7.
2 Daß sive und vel im mittelalterl. Latein oft =ez ist, bemerkt in diesem
Zusammenhang schon A. L. Mayer in seiner Besprechung Heldmanns, JLW
VIII (1928), 378; ebenso Hirsch S. 7 mit Anm. 26. In der Tat darf aus einer
Unterscheidung von sive und atque in diesem Zusammenhang nichts gefolgert
werden.
3 So Hirsch S. 7. Dagegen vgl. Heldmann S. 40.
4 Vgl. o. S. 20f.
5 Vgl. Hirsch S. 7: „Überhaupt war nun durch diese liturgischen Texte
dem fränkischen Klerus die Möglichkeit geboten^ über die Gleichheit der Ziele
nachzudenken, denen in der religiösen Auffassung der rex Francorum ebenso
nachzustreben hatte wie der imperator Romanorum.“ Höher, als es in diesem
Satz geschieht, darf man m. E. die Wirkung des römischen Reichsgedankens
durch die Liturgie nicht einschätzen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften