Neue Darstellungen griechischer Sagen: I. Kreta.
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Es hat dieselbe Form und Größe wie auf so vielen Darstellun-
gen des Themas in der antiken Kleinkunst und Malerei. Und häufig
kommt ihm, außer dem attributiven Charakter, zugleich auch eine
kompositioneile Bedeutung zu. Wie auf der Dresdener Gemme mit
der Liebesbegegnung1 bildet die kleine Kugel auch auf der Vase aus
Knossos den eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen. Wenn dort die
Rechte des Mädchens, den Gewandzipfel über die Schulter ziehend,
einfach ein geläufiges Motiv der klassischen Kunst aufnimmt: hier
sieht es so aus, als habe sie soeben den Gegenstand geworfen und
der Partner fange ihn mit der geöffneten Linken auf. Doch Scherz
beiseite, ein Ballspielen ist freilich nicht gemeint, wohl aber dürfte
in der Stellung der Hände die Gebärde des Nehmens und Gebens
zum Ausdruck kommen. Im Grunde ist es ja ein ebenso naives
Mittel, die Überreichung sinnenfällig zu machen, wenn der Meister
des Kruges von Tragliatella sowohl der darbietenden Frau wie ihrem
in Empfang nehmenden Gegenüber je ein Knäuel in die Hand gibt2.
Daß an eine Szene solcher Art der Maßstab der Einheit von Zeit
und Handlung nicht anzulegen ist, versteht sich von selbst. Was
der Maler mit seiner Häufung verschiedener Momente will, ist wohl
könnte ein vor dem Brand durch Pressung in das Bild gedrückter Teil des
Randes sein. Letzteres zeigt nun auch das Exemplar Vassar, das durch Prof.
Haight ebenfalls in Tarent erworben wurde. Das Reliefbild ist bis in alle Ein-
zelheiten gleich, nur ist der Maßstab weit geringer (H. 6, 9 cm; Br. 4,1 cm gegen
9,5 u. 5,5 cm). Ich halte den Abdruck für eine jener modernen, durch Schrump-
fung beim Brennen stark verkleinerten Reproduktionen, vor welchen ich seiner-
zeit warnen zu müssen glaubte; für unsere Untersuchung scheidet es somit aus.
Dagegen ist nun das Brüsseler Exemplar insofern wichtig, als in der Linken des
Mädchens ganz deutlich neben der Spindel das Stabende des Rockens sichtbar
wird, wie das zahlreiche antike Darstellungen von Spinnerinnen zeigen. Meine
Erklärung a. 0. 4 ist danach zu berichtigen. Die Übereinstimmung der Geste
der „Ariadne“ mit jenen Bildern, wo die Hand wirklich das Knäuel hält, ist
aber derart, daß das Tarentiner Tonrelief aus diesem Zusammenhang kaum zu
lösen sein dürfte, auch wenn auf dem Wege der bildlichen Überlieferung der Ball
verloren ging.
Merkwürdige Anklänge an die ursprüngliche Komposition auch auf grie-
chischen Münzen des 6. Jh., z. B. Regling, Die antike Münze als Kunstwerk
Taf. 4 Nr. 94 (erotische Gruppe, Silen u. Nymphe) u. Nr. 93 (ebenso): das
eine Mal sitzt der „Ball“ oben zwischen den Köpfen des Paares, ganz wie auf
der Vase aus Knossos, das andere Mal genau im Zentrum des Rundes. Auch
hier erhebt das Mädchen die Rechte mit der Handfläche nach oben. Den Hin-
weis verdanke ich cand. phil. H. Boeke.
1 HBr. 222 Abb. 67; ThuA. 24 Abb. 22.
2 ThuA. 23.
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Es hat dieselbe Form und Größe wie auf so vielen Darstellun-
gen des Themas in der antiken Kleinkunst und Malerei. Und häufig
kommt ihm, außer dem attributiven Charakter, zugleich auch eine
kompositioneile Bedeutung zu. Wie auf der Dresdener Gemme mit
der Liebesbegegnung1 bildet die kleine Kugel auch auf der Vase aus
Knossos den eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen. Wenn dort die
Rechte des Mädchens, den Gewandzipfel über die Schulter ziehend,
einfach ein geläufiges Motiv der klassischen Kunst aufnimmt: hier
sieht es so aus, als habe sie soeben den Gegenstand geworfen und
der Partner fange ihn mit der geöffneten Linken auf. Doch Scherz
beiseite, ein Ballspielen ist freilich nicht gemeint, wohl aber dürfte
in der Stellung der Hände die Gebärde des Nehmens und Gebens
zum Ausdruck kommen. Im Grunde ist es ja ein ebenso naives
Mittel, die Überreichung sinnenfällig zu machen, wenn der Meister
des Kruges von Tragliatella sowohl der darbietenden Frau wie ihrem
in Empfang nehmenden Gegenüber je ein Knäuel in die Hand gibt2.
Daß an eine Szene solcher Art der Maßstab der Einheit von Zeit
und Handlung nicht anzulegen ist, versteht sich von selbst. Was
der Maler mit seiner Häufung verschiedener Momente will, ist wohl
könnte ein vor dem Brand durch Pressung in das Bild gedrückter Teil des
Randes sein. Letzteres zeigt nun auch das Exemplar Vassar, das durch Prof.
Haight ebenfalls in Tarent erworben wurde. Das Reliefbild ist bis in alle Ein-
zelheiten gleich, nur ist der Maßstab weit geringer (H. 6, 9 cm; Br. 4,1 cm gegen
9,5 u. 5,5 cm). Ich halte den Abdruck für eine jener modernen, durch Schrump-
fung beim Brennen stark verkleinerten Reproduktionen, vor welchen ich seiner-
zeit warnen zu müssen glaubte; für unsere Untersuchung scheidet es somit aus.
Dagegen ist nun das Brüsseler Exemplar insofern wichtig, als in der Linken des
Mädchens ganz deutlich neben der Spindel das Stabende des Rockens sichtbar
wird, wie das zahlreiche antike Darstellungen von Spinnerinnen zeigen. Meine
Erklärung a. 0. 4 ist danach zu berichtigen. Die Übereinstimmung der Geste
der „Ariadne“ mit jenen Bildern, wo die Hand wirklich das Knäuel hält, ist
aber derart, daß das Tarentiner Tonrelief aus diesem Zusammenhang kaum zu
lösen sein dürfte, auch wenn auf dem Wege der bildlichen Überlieferung der Ball
verloren ging.
Merkwürdige Anklänge an die ursprüngliche Komposition auch auf grie-
chischen Münzen des 6. Jh., z. B. Regling, Die antike Münze als Kunstwerk
Taf. 4 Nr. 94 (erotische Gruppe, Silen u. Nymphe) u. Nr. 93 (ebenso): das
eine Mal sitzt der „Ball“ oben zwischen den Köpfen des Paares, ganz wie auf
der Vase aus Knossos, das andere Mal genau im Zentrum des Rundes. Auch
hier erhebt das Mädchen die Rechte mit der Handfläche nach oben. Den Hin-
weis verdanke ich cand. phil. H. Boeke.
1 HBr. 222 Abb. 67; ThuA. 24 Abb. 22.
2 ThuA. 23.