Neue Darstellungen griechischer Sagen: I. Kreta.
43
durch viele Beispiele vertretene hieratische Pose, in der sich die
Göttin der irdischen Gesellschaft zu zeigen pflegt1. Gewiß ist Pa yne
im Recht, wenn er a. 0. 287 vor zu weit gehenden Schlüssen warnt,
denn dieser Gestus einer feierlichen Offenbarung ist im Bildervorrat
der alten Welt so verbreitet, und der gegebene Ausdruck ehrfurcht-
heischender Hoheit schlechthin, daß es kaum angängig sein dürfte,
ihn irgendwie örtlich oder zeitlich fixieren zu wollen. Indessen ist
angesichts unserer Vase, die aus Knossos stammt, ein Zusammen-
hang mit dem sakralen Apparat der kretischen Vorzeit jedenfalls
nicht kurzweg von der Hand zu weisen. Umso weniger, als nun
schon das Kostüm die Eigenart minoischer Frauentracht deutlich
genug in Erscheinung treten läßt. Auch hier hat Payne mit klarem
Blick das wesentliche erkannt: “a curious feature is that the woman
appears to he nude above the waist; the patterns on the upper
part of the dress may, of course, have been omitted (compare again
the gold reliefs just quoted, and many other early works), but in a
work on this scale that does not seem very likely. One is naturally
1 Zur Kontroverse über den Sinn des Gestus Nilsson, Min.-Myc. Reli-
gion 267 Anm. 1. Er kann Gruß oder Segnung bedeuten, vielleicht beides zu-
gleich, aber kaum etwas anderes. Daß die Frauenstatuetten aus den kretischen
Palastkapellen keine Kultbilder, sondern Votive sind, wird man ohne weiteres
zugeben, wenn auf ihre Vielzahl und auf das so bescheidene Format verwiesen
wird. Aber Verkörperungen der Gottheit stellen sie, trotz der rein mensch-
lichen Bildung, zweifellos dar. Bei der „offenbar göttlichen Gestalt'1 einer
minoischen Larnax aus Kreta (AA. 1934, 247 Abb. 1) kann diese Haltung
doch nicht die „übliche Gebärde der Anbetung“ (so Marinatos 250) sein.
Dem angeblich im Osten von Kreta gefundenen Goldring in Kopenhagen
(Blinkenberg, Aarböger for Nordisk Oldkyndighed 1920, 310 Abb. 20;
van Hoorn, Rev. arch. 19, 1924, 261 ff.; Nilsson, 241 Abb. 77), wo die
Göttin mit diesem Gestus inmitten betender Männer und Frauen erscheint,
mißtraut Schweitzer, Gnomon 4, 1928, 179 wohl nicht ohne Grund, wie
überhaupt seine Bedenken gegenüber dieser so beängstigend sich ver-
mehrenden Denkmälerklasse stärkste Beachtung verdienen. Sichere Bei-
spiele von Götterfiguren in unserem Schema sind jedoch die spätminoischmi
Tonidole aus der Kapelle von Gurnia Boyd-Hawes, Gournia 47 Taf. 11, 1
(vgl. Prinz, AM. 35, 1910, 158) und aus dem “Shrine of Double Axes” Evans,
Palace II 336ff. Abb. 193a, ferner die rohe Bleifigur einer „Schlangengöttin“
aus dem sog. Kleinen Palast, ebenda 540 Abb. 344. Auf das Nachleben des
Typus in Gypern hat schon Payne 287 aufmerksam gemacht. Für Kreta selber
bezeugt es z. B. die Figur des archaischen Tonreliefs aus Mathiä di Pediada,
Annuario 10—12, 1927—29, 622 Abb. 654, die mit unserer „Ariadne“ auch
Haartracht und Krone (nicht ,,un berrettino basso di tipo miceneo, con l’orlo
superiore decorato a cerchietti incisi“) gemeinsam hat.
43
durch viele Beispiele vertretene hieratische Pose, in der sich die
Göttin der irdischen Gesellschaft zu zeigen pflegt1. Gewiß ist Pa yne
im Recht, wenn er a. 0. 287 vor zu weit gehenden Schlüssen warnt,
denn dieser Gestus einer feierlichen Offenbarung ist im Bildervorrat
der alten Welt so verbreitet, und der gegebene Ausdruck ehrfurcht-
heischender Hoheit schlechthin, daß es kaum angängig sein dürfte,
ihn irgendwie örtlich oder zeitlich fixieren zu wollen. Indessen ist
angesichts unserer Vase, die aus Knossos stammt, ein Zusammen-
hang mit dem sakralen Apparat der kretischen Vorzeit jedenfalls
nicht kurzweg von der Hand zu weisen. Umso weniger, als nun
schon das Kostüm die Eigenart minoischer Frauentracht deutlich
genug in Erscheinung treten läßt. Auch hier hat Payne mit klarem
Blick das wesentliche erkannt: “a curious feature is that the woman
appears to he nude above the waist; the patterns on the upper
part of the dress may, of course, have been omitted (compare again
the gold reliefs just quoted, and many other early works), but in a
work on this scale that does not seem very likely. One is naturally
1 Zur Kontroverse über den Sinn des Gestus Nilsson, Min.-Myc. Reli-
gion 267 Anm. 1. Er kann Gruß oder Segnung bedeuten, vielleicht beides zu-
gleich, aber kaum etwas anderes. Daß die Frauenstatuetten aus den kretischen
Palastkapellen keine Kultbilder, sondern Votive sind, wird man ohne weiteres
zugeben, wenn auf ihre Vielzahl und auf das so bescheidene Format verwiesen
wird. Aber Verkörperungen der Gottheit stellen sie, trotz der rein mensch-
lichen Bildung, zweifellos dar. Bei der „offenbar göttlichen Gestalt'1 einer
minoischen Larnax aus Kreta (AA. 1934, 247 Abb. 1) kann diese Haltung
doch nicht die „übliche Gebärde der Anbetung“ (so Marinatos 250) sein.
Dem angeblich im Osten von Kreta gefundenen Goldring in Kopenhagen
(Blinkenberg, Aarböger for Nordisk Oldkyndighed 1920, 310 Abb. 20;
van Hoorn, Rev. arch. 19, 1924, 261 ff.; Nilsson, 241 Abb. 77), wo die
Göttin mit diesem Gestus inmitten betender Männer und Frauen erscheint,
mißtraut Schweitzer, Gnomon 4, 1928, 179 wohl nicht ohne Grund, wie
überhaupt seine Bedenken gegenüber dieser so beängstigend sich ver-
mehrenden Denkmälerklasse stärkste Beachtung verdienen. Sichere Bei-
spiele von Götterfiguren in unserem Schema sind jedoch die spätminoischmi
Tonidole aus der Kapelle von Gurnia Boyd-Hawes, Gournia 47 Taf. 11, 1
(vgl. Prinz, AM. 35, 1910, 158) und aus dem “Shrine of Double Axes” Evans,
Palace II 336ff. Abb. 193a, ferner die rohe Bleifigur einer „Schlangengöttin“
aus dem sog. Kleinen Palast, ebenda 540 Abb. 344. Auf das Nachleben des
Typus in Gypern hat schon Payne 287 aufmerksam gemacht. Für Kreta selber
bezeugt es z. B. die Figur des archaischen Tonreliefs aus Mathiä di Pediada,
Annuario 10—12, 1927—29, 622 Abb. 654, die mit unserer „Ariadne“ auch
Haartracht und Krone (nicht ,,un berrettino basso di tipo miceneo, con l’orlo
superiore decorato a cerchietti incisi“) gemeinsam hat.