Neue Darstellungen griechischer Sagen: II. Picenum.
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dige schwarzfigurige Lekythos1, wo hinter dem bienenkorbförmigen
Grabhügel zwei gewaltige Schlangen auftauchen, bei deren Anblick
ein junger Mann in großen Sätzen enteilt. Die Deutung ist umstrit-
ten; wir verzichten darauf, uns in das gefährliche Abenteuer einzu-
lassen, bescheiden uns bei der Annahme, daß hier eine chthonische
Schlange als Grabhüterin, vielleicht als Rächerin in Funktion tritt2,
wie immer die Geschichte sich abwickeln mag. Wichtig für uns ist
die Veranschaulichung des Grabes selbst: vor dem weißgrundigen
Tymbos ist eine Ranke mit eingerollten Zweigen zu sehen, und einer
von diesen trägt den großen Kauz. Wahrscheinlich dient der Vogel
einfach zur Bezeichnung der Grabstätte. Wir erinnern an Athenäus
XIII 592b, wo die Hetäre Archippe ώσπερ cd γλαυκές επί τάφον
κάθηταί. So sitzt tatsächlich auf einer weißgrundigen Lekythos im
British Museum auf dem Tymbos, der die Stele trägt, eine bloß in
Umriß gezeichnete Eule3. Aber ebenfalls auf einer Ranke hockend,
hier wiederum paarweise, erscheint der Totenkauz auf einer Leky-
thos aus der Nekropole von Gnathia4. Die beiden Vögel flankieren
das Grabmal, dessen Epithem eine leierspielende Sirene ist, die
„personifizierte Totenklage5“. Das Gesträuch, in dem sie nisten,
unterscheidet sich in nichts von der abstrakten pflanzlichen Orna-
mentik dieser Stilstufe.
Und nun das Überraschende: den Abschluß der ganzen Reihe
bildet wiederum ein Denkmal der Kaiserzeit, und zwar der provin-
zialrömischen Kunst, das jenes Motiv des griechischen Archaismus
fast unverändert beibehält! Es ist der Grabstein einer JuniaCurmilla
aus der gallo-römischen Nekropole bei La Horgne-au-Sablon in
Lothringen, im Museum zu Metz6. Ein kleiner Cippus der in der
1 Jdl. 6, 1891 Taf. 4 S. 189f. (Förster) u. 197ff. (Brueckner); F. Hau-
ser, Jdl. 8, 1893, 98, Anm. 12; J. Harrison, JHS. 19, 1899, 214; E. Maass,
ÖJh. 11, 1908, 15f.; Küster, Die Schlange in der gr. Kunst u. Religion
(RGW. XIII 2. Heft 1913) 69 Anm. 2; RE. II A 514, 57.
2 Literatur s. RE. II A 517.
3 Murray-Smith, White Athen. Yases Taf. 13; Fairbanks, Athen.
Lekythoi I 287 Nr. 12; Jdl. 27, 1912, 138 Abb. 7; Roscher, Neue Omphalos-
studien 61 f., 69 Abb.
4 Müller-Wieseler II 59, 751; O. Keller, Antike Tierwelt II 42
Abb. 18; Weicker, Der Seelenvogel 51. 5 O. Waser, ARW. 16, 1913, 340.
6 Keune, Lothring. Jahrb. 15, 1903, 384, 390ff. Taf. 14, 4; Lehner,
BJ.120, 1911, 253 Taf.15, 2; Esperandieu, Recueil des bas-rel. Y 425 Nr. 4369
(danach unsere Abb.); Drexel, RM. 35, 1920, 60f. Abb. 6; Linckenheld,
Les steles fun. en forme de maison Taf. 5, 4; Jacobsthal, Ornamente 89
Anm. 135.
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dige schwarzfigurige Lekythos1, wo hinter dem bienenkorbförmigen
Grabhügel zwei gewaltige Schlangen auftauchen, bei deren Anblick
ein junger Mann in großen Sätzen enteilt. Die Deutung ist umstrit-
ten; wir verzichten darauf, uns in das gefährliche Abenteuer einzu-
lassen, bescheiden uns bei der Annahme, daß hier eine chthonische
Schlange als Grabhüterin, vielleicht als Rächerin in Funktion tritt2,
wie immer die Geschichte sich abwickeln mag. Wichtig für uns ist
die Veranschaulichung des Grabes selbst: vor dem weißgrundigen
Tymbos ist eine Ranke mit eingerollten Zweigen zu sehen, und einer
von diesen trägt den großen Kauz. Wahrscheinlich dient der Vogel
einfach zur Bezeichnung der Grabstätte. Wir erinnern an Athenäus
XIII 592b, wo die Hetäre Archippe ώσπερ cd γλαυκές επί τάφον
κάθηταί. So sitzt tatsächlich auf einer weißgrundigen Lekythos im
British Museum auf dem Tymbos, der die Stele trägt, eine bloß in
Umriß gezeichnete Eule3. Aber ebenfalls auf einer Ranke hockend,
hier wiederum paarweise, erscheint der Totenkauz auf einer Leky-
thos aus der Nekropole von Gnathia4. Die beiden Vögel flankieren
das Grabmal, dessen Epithem eine leierspielende Sirene ist, die
„personifizierte Totenklage5“. Das Gesträuch, in dem sie nisten,
unterscheidet sich in nichts von der abstrakten pflanzlichen Orna-
mentik dieser Stilstufe.
Und nun das Überraschende: den Abschluß der ganzen Reihe
bildet wiederum ein Denkmal der Kaiserzeit, und zwar der provin-
zialrömischen Kunst, das jenes Motiv des griechischen Archaismus
fast unverändert beibehält! Es ist der Grabstein einer JuniaCurmilla
aus der gallo-römischen Nekropole bei La Horgne-au-Sablon in
Lothringen, im Museum zu Metz6. Ein kleiner Cippus der in der
1 Jdl. 6, 1891 Taf. 4 S. 189f. (Förster) u. 197ff. (Brueckner); F. Hau-
ser, Jdl. 8, 1893, 98, Anm. 12; J. Harrison, JHS. 19, 1899, 214; E. Maass,
ÖJh. 11, 1908, 15f.; Küster, Die Schlange in der gr. Kunst u. Religion
(RGW. XIII 2. Heft 1913) 69 Anm. 2; RE. II A 514, 57.
2 Literatur s. RE. II A 517.
3 Murray-Smith, White Athen. Yases Taf. 13; Fairbanks, Athen.
Lekythoi I 287 Nr. 12; Jdl. 27, 1912, 138 Abb. 7; Roscher, Neue Omphalos-
studien 61 f., 69 Abb.
4 Müller-Wieseler II 59, 751; O. Keller, Antike Tierwelt II 42
Abb. 18; Weicker, Der Seelenvogel 51. 5 O. Waser, ARW. 16, 1913, 340.
6 Keune, Lothring. Jahrb. 15, 1903, 384, 390ff. Taf. 14, 4; Lehner,
BJ.120, 1911, 253 Taf.15, 2; Esperandieu, Recueil des bas-rel. Y 425 Nr. 4369
(danach unsere Abb.); Drexel, RM. 35, 1920, 60f. Abb. 6; Linckenheld,
Les steles fun. en forme de maison Taf. 5, 4; Jacobsthal, Ornamente 89
Anm. 135.