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Winkler, Emil; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 1. Abhandlung): Zur Geschichte des Begriffs "Comédie" in Frankreich — Heidelberg, 1937

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https://doi.org/10.11588/diglit.41993#0038
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Emil Winkler:

griffsgeschichte bleibt das Wesentliche der Gattungsentwicklung
dunkel1. Man darf sagen: der Teil der französischen Seele, der
zwischen der Welt gallischer Heiterkeit auf der einen Seite und ge-
spreizter römischer Rhetorik auf der andern lag, und der auf
dramatischem Gebiete bisher so oft nur im Begriffe seine Er-
füllung gefunden hatte, erhielt nun Befriedigung. Aber erst als er
sich — seit Diderot und der Romantik — im sogenannten Brame
einen neuen Begriff geschaffen hatte, war der alte, der der Ko-
mödie, frei für das Lustspiel und konnte sich auf dieses beschrän-
ken, bis der Realismus die Grenzlinien neuerlich verwischte.
War der Zerfall der Spannung, dann die Einschränkung des
Begriffs Comedie auf das Lustspiel ein Gewinn für die französische
Dramatik? Schon vor 50 Jahren hat Lanson es bezweifelt: La
comedie, so schrieb er damals2, ne gar de (seit dem Aufkommen des
bürgerlichen Dramas) que le pur comique, les sujets manifestement
et essentiellement plaisants, ou qui contiennent le mdicule sous une
apparente gravite. De lei vient, en jaisant abstraction du genie indi-
viduell que les meilleures comedies, au sejis classique du mot, qu’on
a ecrites de nos jours, n’atteignent point d la hauteur des grandes
oeuvres de Moliere: Cest qu’on traite en drame aujourd^hui les situa-
tions, auxquelles la forme comique, artistement imposee, a donne une
si exquise delicatesse; c’est que Vheritage de Moliere Mest arrive que
reduit aux gra.nds rieurs de notre temps.
Wie dem auch sei, seit dem Zerfall der Spannung melden die Wör-
terbücher, das Wort comedie sei veraltet im Sinne von piece de theätre,
Theaterspiel schlechtweg. Aber dieser alte Sinn lebt weiter, etwa in
der Bezeichnung des privilegierten großen Pariser Schauspielhauses
als Comedie franqaise. Er lebt weiter etwa in Balzacs Comedie hu-
maine, die wahrhaftig kein Lustspiel ist. Balzac soll den Titel
in Anlehnung an Dantes Divina Commedia geprägt haben. Wenn
dem so ist, dann fiel er einem argen Mißverständnis zum Opfer.
Denn für Dante war das, was er in seiner Vision erschaute, nicht
ein bloßes Schauspiel der Ewigkeit. Nicht aus Dantes Werk
konnte (bei richtiger Deutung) Balzac die Anregung schöpfen, das
Leben als Bühnen spiel zu sehen. Die letzte Anregung dazu muß
ihm aus den Wurzeln seines eigenen Volkstums gekommen sein.
1 Selbstverständlich kann es hier nicht unsere Aufgabe sein, das Werden
der Gattung zu verfolgen. Es sollte hier nur eine bisher vernachlässigte
Linie ihrer inneren Entwicklung aufgezeigt werden.
2 G. Lanson, Nivelle de la Chaussee, Paris 1887, S. 285.
 
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