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Honecker, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1939/40, 2. Abhandlung): Der Name des Nikolaus von Cues in zeitgenössischer Etymologie: zugleich ein Beitrag zum Problem der Onomastika — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.42018#0024
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Martin Honecker:

1050—1117)84. Die Glossa ordinaria bemerkt zu Apoc. 2, 6 beim
Stichwort Nicolciitarum: Nicolaus stultus populus, i. e. gentiles
deum ignorantes85. Die stereotype Formulierung der Traditions-
linie gewahrt man dann wieder in den Apokalypsenkommen-
taren des Martin von Leon (| 1221)86, Alberts des Großen
(1193—1280)87 und eines Pseudo-Thomas-Aquinas88.
Wie ist aber diese Fassung Nicolaus = stultus populus, die
von den Hieronymus-Erklärungen für Nicolaus und Nicolaitae
durch den neuen Bestandteil populus abweicht, entstanden? — Es
wäre offenbar fehlgegriffen, wollte man annehmen, irgendein des
Griechischen Kundiger habe damit das in Νικόλαος steckende Wort
λαός wiedergeben wollen; denn wer so viel Griechisch versteht,
daß er λαός richtig übersetzt, wird als Übertragung der ersten
Hälfte des Namens Νικόλαος nicht stultus stehen lassen89. Es bleibt
84 PL 162, 1508.
85 Zitiert aus: Sexta pars bibliae cum glossa ordinaria et expositionibus
Lyrae . . ., Basel 1502, f° 243v. In der Ausgabe von Migne (PL 114) fehlt
dieser Passus. Nun sind aber in Mignes Edition alle Stellen ausgelassen wor-
den, die sich erst in Hss. seit dem XII. Jhd. finden (PL 113, 11). Mithin ist
die Nikolaus-Etymologie auf keinen Fall von Walahfried Strabo (808/9 bis
849) eingesetzt worden, auch wenn man ihn sonst für den Verfasser der Glossa
ordinaria halten will. Vgl. über diese Frage K. Künstle, Das Comma Joan-
neum, 1905, S. 42; Η. H. Glunz, History of the Vulgate in England from
Alcuin to Roger Bacon, Cambridge 1933, 211 ff., 322ff. (möchte die Glossa
ordinaria und die Glossa interlinearis dem Petrus Lombardus zuschreiben;
betont den Einfluß des Anselm von Laon); M. Seidlmayer im Lexikon
für Theologie und Kirche X (1938), 719f.
86 Expositio libri Apocalypsis; PL 209, 310.
87 In Apocalypsim B. Joannis Apostoli expositio; opera, ed. Borgnet,
Bd. 38 (1899), 508.
88 In B. Joannis Apocalypsim expositio. Erstausgabe Florenz 1549, S. 45.
Hier steht, offenbar infolge eines Druckfehlers, sogar nur: Interpretatur . . .
Nicolaus populus.
89 Anders läge die Sache freilich, wenn ein solcher Übersetzer sich auf
den Graecismus des Eberhard von Bethune (vollendet 1212) gestützt hätte
(Ausgabe von Joh. Wrobel im Corpus grammaticorum medii aevi, Bd. I,
Breslau 1887, S. 41), wo nur der Bestandteil λαός berücksichtigt wird (Vers
190):
Quod laos est populus, monstrat vere Nicolaus.
Eine aus Cu es stammende Handschrift dieses Graecismus des Eber-
hard von Bethune befindet sich heute im Britischen Museum (Cod. Har-
leian. 3934; vgl. Catalogue of Harleian manuscripts in the British
Museum I/IV, London 1808/12, Bd. III, S. 97, und P. Lehmann, Mitteilun-
gen aus Handschriften II, Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der
 
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