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Gustav Hölscher:
Die Täufergemeinschaft, die der Verfasser von ant. XVIII
116—119 kannte, hatte die Auffassung, daß die Niederlage des
Tetrarchen Herodes die göttliche Strafe für die Hinrichtung ihres
Meisters gewesen war. Ein bestimmter chronologischer Ansatz für
die Hinrichtung des Johannes ist damit nicht gegeben; in ähn-
licher Weise hat die alte Christenheit die Zerstörung Jerusalems
als Strafe Gottes für die Kreuzigung Jesu angesehen, obwohl diese
Ereignisse zeitlich noch weiter auseinander lagen.
Die durch den Täufer und durch Jesus verursachten religiösen
Bewegungen gehören, politisch gesehen, in die Reihe der vielen
Unruhen, von denen Josephus zwischen 6 und 66 n. Chr. berichtet.
In beiden Fällen ist es die politische Obrigkeit, die eingreift. Von
dem stürmischen Charakter der von Johannes entfachten Bewe-
gung klingt noch etwas nach in dem Berichte bei Josephus: der
Tetrarch geht gegen Johannes vor, um einen Aufstand der Massen
zu verhindern. Auf diese Bewegung scheint sich auch das dunkle
Wort Matth. 11, 12 (Luk. 16, 16) zu beziehen: Seit den Tagm
des Täufers Johannes bis jetzt wird das Himmelreich gestürmt und
Stürmer reißen es an sich. Ebenso tragen der Einzug Jesu in Jeru-
salem und die Reinigung des Tempels das Gepräge des Tumultes,
und Jesus wird von dem Prokurator als König der Juden gekreu-
zigt. Im Hintergründe steht, wie überall, die Ankündigung der
unmittelbaren Erfüllung der prophetischen Weissagung: des Ge-
richtes und des Gottesreiches.
Daß solche stürmischen Bewegungen von der Regierung nicht
lange geduldet worden sind, versteht sich von selbst; stets hat
man so schnell wie möglich eingegriffen. Schon daraus würde
folgen, daß dem prophetischen Auftreten Jesu, ebenso wie dem
des Täufers, eine Periode vorangegangen sein muß, in der das
Wirken beider noch nicht von dem Gedanken an eine unmittel-
bare Nähe des entscheidenden Momentes bestimmt war, eine Zeit,
da sie als friedliche Lehrer wirkten, Johannes in der Wüste, Jesus
in seiner galiläischen Heimat1. Sowohl Johannes als auch Jesus
haben nicht nur Gläubige um sich gesammelt; beide haben auch
als Lehrer „Schüler“ an sich herangezogen, die sie zu Lehrern aus-
bilden wollten und die nachher als solche aufgetreten sind. Der
Terminus „Schüler“ ist bei all den Schulen, von denen Josephus
spricht, der übliche, und dasselbe ist bei den Rabbinen der Fall.
1 W. Brandt, Die evangelische Geschichte und der Ursprung des
Christentums, 1893, 463.
Gustav Hölscher:
Die Täufergemeinschaft, die der Verfasser von ant. XVIII
116—119 kannte, hatte die Auffassung, daß die Niederlage des
Tetrarchen Herodes die göttliche Strafe für die Hinrichtung ihres
Meisters gewesen war. Ein bestimmter chronologischer Ansatz für
die Hinrichtung des Johannes ist damit nicht gegeben; in ähn-
licher Weise hat die alte Christenheit die Zerstörung Jerusalems
als Strafe Gottes für die Kreuzigung Jesu angesehen, obwohl diese
Ereignisse zeitlich noch weiter auseinander lagen.
Die durch den Täufer und durch Jesus verursachten religiösen
Bewegungen gehören, politisch gesehen, in die Reihe der vielen
Unruhen, von denen Josephus zwischen 6 und 66 n. Chr. berichtet.
In beiden Fällen ist es die politische Obrigkeit, die eingreift. Von
dem stürmischen Charakter der von Johannes entfachten Bewe-
gung klingt noch etwas nach in dem Berichte bei Josephus: der
Tetrarch geht gegen Johannes vor, um einen Aufstand der Massen
zu verhindern. Auf diese Bewegung scheint sich auch das dunkle
Wort Matth. 11, 12 (Luk. 16, 16) zu beziehen: Seit den Tagm
des Täufers Johannes bis jetzt wird das Himmelreich gestürmt und
Stürmer reißen es an sich. Ebenso tragen der Einzug Jesu in Jeru-
salem und die Reinigung des Tempels das Gepräge des Tumultes,
und Jesus wird von dem Prokurator als König der Juden gekreu-
zigt. Im Hintergründe steht, wie überall, die Ankündigung der
unmittelbaren Erfüllung der prophetischen Weissagung: des Ge-
richtes und des Gottesreiches.
Daß solche stürmischen Bewegungen von der Regierung nicht
lange geduldet worden sind, versteht sich von selbst; stets hat
man so schnell wie möglich eingegriffen. Schon daraus würde
folgen, daß dem prophetischen Auftreten Jesu, ebenso wie dem
des Täufers, eine Periode vorangegangen sein muß, in der das
Wirken beider noch nicht von dem Gedanken an eine unmittel-
bare Nähe des entscheidenden Momentes bestimmt war, eine Zeit,
da sie als friedliche Lehrer wirkten, Johannes in der Wüste, Jesus
in seiner galiläischen Heimat1. Sowohl Johannes als auch Jesus
haben nicht nur Gläubige um sich gesammelt; beide haben auch
als Lehrer „Schüler“ an sich herangezogen, die sie zu Lehrern aus-
bilden wollten und die nachher als solche aufgetreten sind. Der
Terminus „Schüler“ ist bei all den Schulen, von denen Josephus
spricht, der übliche, und dasselbe ist bei den Rabbinen der Fall.
1 W. Brandt, Die evangelische Geschichte und der Ursprung des
Christentums, 1893, 463.