III. Kapitel.
§ 14. Messer im Ding.
Im westfälischen Holtcling des Delbrücker Landes war ein
eigenartiger Messerbrauch in Übung1:
Alle markgenossen (meier, köter, bardenhauer und zulager er)
stecken in einen auf der erde gemachten kreis ihre messer, und
ziehen sie, bei ablesung ihrer nennen, selbst wieder heraus, indem
sie die Worte sprechen: „ich ziehe mein messer auf recht1’1' oder
„ich ziehe mein messer auf herrn gnadeu. Da nemlich der scherne
nicht jeden frevel erfahren kann, so gibt sich der schuldige selbst
an, und empfängt einfache strafe, wenn er sein messer auf gnade,
hingegen doppelte, wenn er es auf recht gezogen hat, und von dem
Schemen überwiesen wird.
Auch vom Holtding in Hülsede wird berichtet2: die Männer schlie-
ßen einen Kreis und stechen ihre Messer vor sich in die Erde, so-
lange bis die Verlesung geschehen; darauf werden die Strafen
bestimmt. Jakob Grimm weiß in seinen Rechtsaltertümern3 ein
Beispiel aus dem 19. Jahrhundert zu vermelden. Ihm wurde münd-
lich erzählt, daß bei der Besitznahme Hildesheims durch Preußen,
die Bauern einen preußischen Fiskal, der sich in ihr Holtding
drängte und Neuerungen machen wollte, zur Flucht genötigt haben,
indem sie plötzlich ihre in den Boden gesteckten Messer heraus-
zogen und drohend erhoben. Aber Grimm gibt doch keine Erklä-
rung für den Sinn dieses Brauches. Ein bloßes Anwesenheits-
zeichen waren die eingesteckten Messer gewiß nicht; obwohl eine
leise Erinnerung an die einstige Dingversammlung in Waffen darin
liegen könnte. Mit dem Schwur auf das in die Erde gesteckte
Schwert4 dürfte dieses Messerstecken und Ziehen nichts zu tun
haben. An ein bedeutungsloses Ablegen der Waffe möchte man
ebensowenig denken. Dagegen spricht schon die Gleichförmigkeit
des Einsteckens und die festen Wortformeln beim Herausziehen;
1 Grimm, Weistümer III, 101.
2 Strube, Rechtliche Bedenken2, 1772, I 373.
3 II 385.
4 Grimm, Rechtsaltertümer4 I, 163.
§ 14. Messer im Ding.
Im westfälischen Holtcling des Delbrücker Landes war ein
eigenartiger Messerbrauch in Übung1:
Alle markgenossen (meier, köter, bardenhauer und zulager er)
stecken in einen auf der erde gemachten kreis ihre messer, und
ziehen sie, bei ablesung ihrer nennen, selbst wieder heraus, indem
sie die Worte sprechen: „ich ziehe mein messer auf recht1’1' oder
„ich ziehe mein messer auf herrn gnadeu. Da nemlich der scherne
nicht jeden frevel erfahren kann, so gibt sich der schuldige selbst
an, und empfängt einfache strafe, wenn er sein messer auf gnade,
hingegen doppelte, wenn er es auf recht gezogen hat, und von dem
Schemen überwiesen wird.
Auch vom Holtding in Hülsede wird berichtet2: die Männer schlie-
ßen einen Kreis und stechen ihre Messer vor sich in die Erde, so-
lange bis die Verlesung geschehen; darauf werden die Strafen
bestimmt. Jakob Grimm weiß in seinen Rechtsaltertümern3 ein
Beispiel aus dem 19. Jahrhundert zu vermelden. Ihm wurde münd-
lich erzählt, daß bei der Besitznahme Hildesheims durch Preußen,
die Bauern einen preußischen Fiskal, der sich in ihr Holtding
drängte und Neuerungen machen wollte, zur Flucht genötigt haben,
indem sie plötzlich ihre in den Boden gesteckten Messer heraus-
zogen und drohend erhoben. Aber Grimm gibt doch keine Erklä-
rung für den Sinn dieses Brauches. Ein bloßes Anwesenheits-
zeichen waren die eingesteckten Messer gewiß nicht; obwohl eine
leise Erinnerung an die einstige Dingversammlung in Waffen darin
liegen könnte. Mit dem Schwur auf das in die Erde gesteckte
Schwert4 dürfte dieses Messerstecken und Ziehen nichts zu tun
haben. An ein bedeutungsloses Ablegen der Waffe möchte man
ebensowenig denken. Dagegen spricht schon die Gleichförmigkeit
des Einsteckens und die festen Wortformeln beim Herausziehen;
1 Grimm, Weistümer III, 101.
2 Strube, Rechtliche Bedenken2, 1772, I 373.
3 II 385.
4 Grimm, Rechtsaltertümer4 I, 163.