Rom und die Christen im ersten Jahrhundert
15
III.
Die Frage, warum die Christen durch ihre Erfahrungen nicht
zu Staatsfeinden geworden sind, gewinnt einige Jahrzehnte nach
Paulus ein anderes Gesicht. Halten wir uns zunächst an die christ-
lichen Quellen, so bezeugt der Hebräerbrief, etwa im vorletzten
Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts entstanden, daß die Christen-
gemeinden Härteres ertragen lernen mußten als es Paulus voraus-
setzt: Schimpf und Drangsal, Gefangenschaft, Raub ihrer Habe
(10, 32—34); und zwar unmittelbar nach ihrer Bekehrung, also als
Folge ihres Anschlusses an die Christengemeinde. Es ist bei den
hier erwähnten „früheren Tagen“ wohl auch, wenn nicht vornehm-
lich an die römische Christenverfolgung unter Nero gedacht1. Der
Verfasser berührt aber diese Ereignisse nur als typische Erfahrun-
gen, die bereits der Vergangenheit angehören. Er will allgemeine
Ermahnungen daran knüpfen; an eine bestimmte Einzelgemeinde
wendet er sich, wie mir scheint, nicht2.
Etwas konkreter ist das Bild, das man aus dem Ersten
Petrusbrief gewinnt. Aus dem ganzen Dokument erhält man den
Eindruck, daß die Christen leiden; und zwar nicht nur die in
dem Präskript genannten Christen Kleinasiens, sondern alle die
„Brüder in der Welt“ (5, 9). Ein zweiter Eindruck kommt hinzu:
die Christen werden verleumdet, sie werden verschiedener Ver-
gehen geziehen; darum ermahnt sie der Verf. an verschiedenen
Stellen (2, 12; 2, 15; 3, 2; 3, 16), diese bösen Gerüchte (s. auch
4, 4; 4, 16) durch ihren Wandel zu widerlegen. Die Art der Vor-
würfe läßt sich ungefähr entnehmen aus der beispielartig gemeinten
Aufzählung 4, 15, die in die Mahnung mündet, ein Christ dürfe nicht
leiden als Mörder oder Dieb oder Verbrecher und auch nicht als
άλλοτριεπίσκοπος. Die Anklagen gingen demnach auf Verbrechen
im bürgerlichen Sinn, vielleicht auch auf politische Gefährlichkeit3.
1 Das scheint aus 10, 33 hervorzugehen: wenigstens läßt die Ausdrucks-
weise όνειδισμοΐς τε καί θλίψεσιν θεατριζόμενοι an die Schilderung von Neros
circense ludicrum bei Tacitus, Ann. XY 44 denken (zur Bedeutung von
θεατρίζω siehe II. J. Cadbvry, ZNW 1930, 60—63: an Schauspiele erinnert
das Wort in jedem Fall).
2 Freilich nehmen das die meisten Exegeten heute noch an, vgl. aber
meinen Aufsatz ,,Der himmlische Kultus nach dem Hebräerbrief“, Theo!.
Blätter 1942, 1—11.
3 άλλοτρ(.επίσκοπος ist -sonst nicht belegt (außer Dionys. Areopagita
ep. 8, Migne graec. 3, 1089 C für den Übergriff eines Bischofs). In der Stelle
1. Petr. 4, 15 μή γάρ τις υμών πασχέτω ώς φονεύς ή κλέπτης ή κακοποιός ή ώς
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III.
Die Frage, warum die Christen durch ihre Erfahrungen nicht
zu Staatsfeinden geworden sind, gewinnt einige Jahrzehnte nach
Paulus ein anderes Gesicht. Halten wir uns zunächst an die christ-
lichen Quellen, so bezeugt der Hebräerbrief, etwa im vorletzten
Jahrzehnt des ersten Jahrhunderts entstanden, daß die Christen-
gemeinden Härteres ertragen lernen mußten als es Paulus voraus-
setzt: Schimpf und Drangsal, Gefangenschaft, Raub ihrer Habe
(10, 32—34); und zwar unmittelbar nach ihrer Bekehrung, also als
Folge ihres Anschlusses an die Christengemeinde. Es ist bei den
hier erwähnten „früheren Tagen“ wohl auch, wenn nicht vornehm-
lich an die römische Christenverfolgung unter Nero gedacht1. Der
Verfasser berührt aber diese Ereignisse nur als typische Erfahrun-
gen, die bereits der Vergangenheit angehören. Er will allgemeine
Ermahnungen daran knüpfen; an eine bestimmte Einzelgemeinde
wendet er sich, wie mir scheint, nicht2.
Etwas konkreter ist das Bild, das man aus dem Ersten
Petrusbrief gewinnt. Aus dem ganzen Dokument erhält man den
Eindruck, daß die Christen leiden; und zwar nicht nur die in
dem Präskript genannten Christen Kleinasiens, sondern alle die
„Brüder in der Welt“ (5, 9). Ein zweiter Eindruck kommt hinzu:
die Christen werden verleumdet, sie werden verschiedener Ver-
gehen geziehen; darum ermahnt sie der Verf. an verschiedenen
Stellen (2, 12; 2, 15; 3, 2; 3, 16), diese bösen Gerüchte (s. auch
4, 4; 4, 16) durch ihren Wandel zu widerlegen. Die Art der Vor-
würfe läßt sich ungefähr entnehmen aus der beispielartig gemeinten
Aufzählung 4, 15, die in die Mahnung mündet, ein Christ dürfe nicht
leiden als Mörder oder Dieb oder Verbrecher und auch nicht als
άλλοτριεπίσκοπος. Die Anklagen gingen demnach auf Verbrechen
im bürgerlichen Sinn, vielleicht auch auf politische Gefährlichkeit3.
1 Das scheint aus 10, 33 hervorzugehen: wenigstens läßt die Ausdrucks-
weise όνειδισμοΐς τε καί θλίψεσιν θεατριζόμενοι an die Schilderung von Neros
circense ludicrum bei Tacitus, Ann. XY 44 denken (zur Bedeutung von
θεατρίζω siehe II. J. Cadbvry, ZNW 1930, 60—63: an Schauspiele erinnert
das Wort in jedem Fall).
2 Freilich nehmen das die meisten Exegeten heute noch an, vgl. aber
meinen Aufsatz ,,Der himmlische Kultus nach dem Hebräerbrief“, Theo!.
Blätter 1942, 1—11.
3 άλλοτρ(.επίσκοπος ist -sonst nicht belegt (außer Dionys. Areopagita
ep. 8, Migne graec. 3, 1089 C für den Übergriff eines Bischofs). In der Stelle
1. Petr. 4, 15 μή γάρ τις υμών πασχέτω ώς φονεύς ή κλέπτης ή κακοποιός ή ώς