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Kolbe, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1942/43, 1. Abhandlung): Die ätolischen Soterien und die attische Archontenforschung — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42031#0074
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Walther Kolbe:

uns jetzt beschäftigende Frage des Verhältnisses der beiden Feste
zueinander völlig außerhalb des Kreises der Betrachtung. Aber in
dem Augenblick, wo die Erkenntnis gewonnen war, daß die ätoli-
schen Soterien von Anbeginn an vierjährig gewesen sind und weiter,
daß sie immer in den Jahren der Olympien gefeiert worden sind,
war mit einem Schlage auch unsere Frage der Lösung zugeführt.
Jetzt stand nichts mehr der Folgerung im Wege, daß dieÄtoler kurz
nach dem Siege das große panhellenische Siegesfest gründeten und
daß ihr Erfolg die Amphiktionen alsbald veranlaßte, ein Jahresfest
neben das Vierjahresfest zu stellen. Mit Roussel Rev. d. et. anc.
1924, 105 glaube ich dies Jahresfest in den einmal in der Inschrift
Syll.3 690 erwähnten Wintersoterien wiedererkennen zu dürfen1. So
konnte es kommen, daß im Pythienjahre des Nikodamos das am-
phiktionische Fest begangen wurde unbeschadet des gleichzeitigen
Bestehens des an den Olympien gefeierten Vierjahresfestes der
Ätoler.

Die griechische Epigraphik sieht sich im dritten Jahrhundert
einer ganz anderen Lage gegenüber als in der Blütezeit oder auch
im Zeitalter Alexanders. In diesen Epochen finden die inschrift-
lichen Zeugnisse in einer reichhaltigen und vielseitigen literarischen
Überlieferung eine wirksame Unterstützung. Außerdem bietet die
Sicherheit der Archontenliste ein festes Rückgrat für die Chrono-
logie. Sobald das Jahr einer Urkunde festgestellt ist, läß* sich daher
in der Mehrzahl der Fälle ihr historischer Hintergrund aufhellen.
Gewiß gibt es Ausnahmen, und bei ihnen ist große Vorsicht und Zu-
rückhaltung geboten. Ulrich Koehler, mein unvergessener Leh-
rer, pflegte deshalb im Seminar wie im privaten Gespräch oft und
nachdrücklich vor dem Irrglauben zu warnen, als könnte man allein
aus den Inschriften ohne die Hilfe historischer Zeugnisse eine Ge-
schichtsdarstellung gewinnen. Wo diesem Standpunkt nicht Rech-
nung getragen wird, geschieht es zum Schaden der Sache. Ein sol-
cher Fall liegt bei dem attischen Dekret IG. I2 63 vor, der Urkunde
der sog. Kleonschatzung von 425/4. Thukydides hat diese tiefein-
schneidende Maßnahme der Finanzpolitik mit Stillschweigen über-
gangen, weil er in seinem Werk den Fragen der Innen- und Wirt-
schaftspolitik keinen Raum gewährte. Der von amerikanischen Ge-
1 Pfister hat, RE., s. v. Soteria, vermutet, daß dies Fest schon 278 ge-
gründet sei. Diese Ansicht kann ich mir nicht zu eigen machen.
 
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