76
Johannes Hoops:
(s)äre 'glossieren’ und calicem 'Kelch’ als frühkirchliche Lehnwörter
den Umlaut mitgemacht: glösare — *glösjan — glcesan — glesan,
calicem — cseliö, cselc.1
Was von ae. eie gilt, gilt auch von ahd. und and. oli: auch diese
sind kirchliche Lehnwörter2.
Diese sprachlichen Ergebnisse werden durch sachliche Er-
wägungen bestätigt. Die Römer werden auf das ihnen unent-
behrliche Öl auch in ihren nordeuropäischen Provinzen nicht ver-
zichtet haben; aber es mußte aus dem Süden importiert werden
und wurde dadurch ein kostspieliger Artikel. Die in den römischen
Provinzen wohnenden Germanen werden das Öl hier wohl schon
kennen gelernt haben; aber als täglicher Gebrauchsartikel wird es
für sie kaum in Betracht gekommen sein, und außerhalb der Ger-
mania Romana blieb es unbekannt: die Germanen hatten in vor-
römischer Zeit, wie wir sahen (S. 69f.), zum Gebrauch als Speise-
fett, Brennstoff und als Mittel zur Körperpflege genügend einhei-
mische Erzeugnisse zu ihrer Verfügung; das teure Olivenöl kam
deshalb als Handelsartikel in den germanischen Ländern kaum in
Frage.
Das wurde anders mit der Einführung des Christentums. In
der christlichen Kirche spielte das Öl eine wichtige ritu-
elle Rolle bei der Taufe, bei Krankheiten und bei der letzten
Ölung, bei der Priester- und Bischofsweihe. Auch zur Bereitung
von medizinischen Salben und Arzneien wurde es viel gebraucht.
Das rituelle Öl wurde alljährlich zu dreierlei Zwecken beson-
ders geweiht3 und danach in drei verschiedenen Gefäßen (ae. am-
pulle oder elefset 'Ölgefäß’) aufbewahrt. Der angelsächsische Abt
FElfric spricht sich darüber in seinem zweiten altenglischen Brief
an Erzbischof Wulfstan (,,Quando dividis Chrisma“, ca. 1005 bis
1007) folgendermaßen aus4:
1 Vgl. Bülbring, Altengl. Elementarbuch, § 158. 178.
2 Vgl. M. Heyne, Fünf Bücher Deutscher Hausaltertümer I 125.
3 Den Ritus der Ölweihe bei den Angelsachsen beschreibt genau mit
Quellenangaben Daniel Rock, The Church of our Fathers; Neuausgabe von
Hart u. Frere, London 1905, IV S. 89—94. Die Salbung der Sterbenden
ebenda II S. 365—370.
4 Die Hirtenbriefe JElfrics, hrsg. v. Bernhard Fehr (Bibliothek d. angel-
sächs. Prosa 9), Hamburg 1914, S. 146—48, § 1—9. —Ältere Ausgabe: An-
cient Laws and Institutes of England. Hrsg, von B. Thorpe 1840, fol. S. 464.
— Vgl. auch Bosworth-Toller AS. Dict. sv. crisma u. Supplement sv. crismay
eie u. ele-fset.
Johannes Hoops:
(s)äre 'glossieren’ und calicem 'Kelch’ als frühkirchliche Lehnwörter
den Umlaut mitgemacht: glösare — *glösjan — glcesan — glesan,
calicem — cseliö, cselc.1
Was von ae. eie gilt, gilt auch von ahd. und and. oli: auch diese
sind kirchliche Lehnwörter2.
Diese sprachlichen Ergebnisse werden durch sachliche Er-
wägungen bestätigt. Die Römer werden auf das ihnen unent-
behrliche Öl auch in ihren nordeuropäischen Provinzen nicht ver-
zichtet haben; aber es mußte aus dem Süden importiert werden
und wurde dadurch ein kostspieliger Artikel. Die in den römischen
Provinzen wohnenden Germanen werden das Öl hier wohl schon
kennen gelernt haben; aber als täglicher Gebrauchsartikel wird es
für sie kaum in Betracht gekommen sein, und außerhalb der Ger-
mania Romana blieb es unbekannt: die Germanen hatten in vor-
römischer Zeit, wie wir sahen (S. 69f.), zum Gebrauch als Speise-
fett, Brennstoff und als Mittel zur Körperpflege genügend einhei-
mische Erzeugnisse zu ihrer Verfügung; das teure Olivenöl kam
deshalb als Handelsartikel in den germanischen Ländern kaum in
Frage.
Das wurde anders mit der Einführung des Christentums. In
der christlichen Kirche spielte das Öl eine wichtige ritu-
elle Rolle bei der Taufe, bei Krankheiten und bei der letzten
Ölung, bei der Priester- und Bischofsweihe. Auch zur Bereitung
von medizinischen Salben und Arzneien wurde es viel gebraucht.
Das rituelle Öl wurde alljährlich zu dreierlei Zwecken beson-
ders geweiht3 und danach in drei verschiedenen Gefäßen (ae. am-
pulle oder elefset 'Ölgefäß’) aufbewahrt. Der angelsächsische Abt
FElfric spricht sich darüber in seinem zweiten altenglischen Brief
an Erzbischof Wulfstan (,,Quando dividis Chrisma“, ca. 1005 bis
1007) folgendermaßen aus4:
1 Vgl. Bülbring, Altengl. Elementarbuch, § 158. 178.
2 Vgl. M. Heyne, Fünf Bücher Deutscher Hausaltertümer I 125.
3 Den Ritus der Ölweihe bei den Angelsachsen beschreibt genau mit
Quellenangaben Daniel Rock, The Church of our Fathers; Neuausgabe von
Hart u. Frere, London 1905, IV S. 89—94. Die Salbung der Sterbenden
ebenda II S. 365—370.
4 Die Hirtenbriefe JElfrics, hrsg. v. Bernhard Fehr (Bibliothek d. angel-
sächs. Prosa 9), Hamburg 1914, S. 146—48, § 1—9. —Ältere Ausgabe: An-
cient Laws and Institutes of England. Hrsg, von B. Thorpe 1840, fol. S. 464.
— Vgl. auch Bosworth-Toller AS. Dict. sv. crisma u. Supplement sv. crismay
eie u. ele-fset.