Die vier Paradiesströme
39
die wirklichen Namen dieser zwei anderen Ströme kennt der Erzäh-
ler nicht; er benennt sie darum mit erfundenen Namen hebräischer
Bildung Gichön und Pisön, beide etwa soviel wie ,, Quellsprudel“ be-
deutend ; Gichön ist bekanntlich auch der Name der am Ostabhang des
Zionshügels entspringenden Quelle, der heutigen Marienquelle. Aber
auch diese zwei Ströme, mag auch der Ursprung der Vierzahl der
Weltströme letztlich bis in den Mythus zurückreichen1, sind für den
Erzähler zweifellos wirkliche Ströme; denn er bestimmt ihren Lauf
durch die bekannten Länder Chäwilä (in Arabien) und Küs2, erwähnt
auch ausdrücklich die kostbaren Produkte von Chäwilä. Man ist also
genötigt, Gichön und Pisön in zwei wirklich existierenden Flüssen
östlich vom Tigris zu suchen. Zwei bedeutende Ströme kommen hier
in betracht, der Kerchä und der Kärün. Der Hauptarm des ersteren
kommt aus den medischen Bergen südlich von Hamadän (Agbatana)
und geht in südöstlicher Richtung westlich an Susa vorbei; es ist
der Uknu der Assyrer, der Choaspes der Griechen (altpers. huvaspa
,,der wasserreiche“). Der andere, der Kärün, kommt aus den südli-
cher gelegenen Bergen, vereinigt sich mit dem Dizful Rud und fließt
1 Die Vierzahl der Ströme, für die S. Mowinckel (a. a. O., S. 54f.) Paral-
lelen aus Vorder- und Hinterindien beibringt, mag in der Tat mit der Vorstel-
lung von den „vier Ecken des Himmels“ oder den „vier Ecken der Erde“ Zu-
sammenhängen, die auch den Hebräern bekannt war (Dt 2212 Jes 1112 Hes 72)·
Darnach wird die Erde schematisch in vier Quadranten eingeteilt. In assyri-
scher Zeit gelten als diese vier Erdquadranten Akkad (S), Amurru (W), Su-
bartu (N), Elam (O), vgl. Alfr. Jeremias, Handbuch der altorientalischen
Geisteskultur , 1929, S. 142 ff. Der Erzähler von Gen 210_14 denkt nicht daran,
die vier Ströme auf die vier Erdquadranten zu verteilen, und auch für seine Vor-
lage ist das wohl kaum anzunehmen. Mowinckel identifiziert nach älteren Vor-
gängern die vier Ströme mit vier vom armenischen Gebirge nach den vier Him-
melsrichtungen ausgehenden Strömen: den Pisön mit dem Araxes, den Gichön
mit dem Halys oder Lykos (richtiger wohl umgekehrt S. o.), — andere haben an
den Kyros oder Phasis gedacht, —- und findet in der Erwähnung von Küs eine
Erinnerung an einen älteren Wohnsitz der Kossäer am Südrande des Kaspi-
schen Meeres, dessen Namen er nach Hüsing (Der Zagros und seine Völker, in:
Alter Orient IX, 3—4, 1908, S. 23f.) als Kassi-pi (Mehrzahl von Kassi) er-
klärt. Aber es ist fraglich, ob die Babylonier und Assyrer überhaupt vom Kas-
pischen Meere gewußt haben; in den Annalen der assyrischen Könige findet,
sich kein sicherer Hinweis darauf (vgl. Friedr. Delitzsch, a.a.O., S. 122f.).
Der äußerste Punkt, den sie nach dieser Tüchtung hin nennen, ist der Berg Bik-
ni (der Elburs); wo die Meder erwähnt werden, geschieht es mit fast stereotyper
Betonung ihrer Entferntheit.
2 Vgl. S. 18 f. u. 42 f. Wenn in 2n richtig ha-Chäwilä mit Artikel (Samar.
ohne denselben) zu lesen ist, könnte der Schreiber an die etymologische Be*
deutung des Namens „Sandland“ (von chöl „Sand“) gedacht haben.
39
die wirklichen Namen dieser zwei anderen Ströme kennt der Erzäh-
ler nicht; er benennt sie darum mit erfundenen Namen hebräischer
Bildung Gichön und Pisön, beide etwa soviel wie ,, Quellsprudel“ be-
deutend ; Gichön ist bekanntlich auch der Name der am Ostabhang des
Zionshügels entspringenden Quelle, der heutigen Marienquelle. Aber
auch diese zwei Ströme, mag auch der Ursprung der Vierzahl der
Weltströme letztlich bis in den Mythus zurückreichen1, sind für den
Erzähler zweifellos wirkliche Ströme; denn er bestimmt ihren Lauf
durch die bekannten Länder Chäwilä (in Arabien) und Küs2, erwähnt
auch ausdrücklich die kostbaren Produkte von Chäwilä. Man ist also
genötigt, Gichön und Pisön in zwei wirklich existierenden Flüssen
östlich vom Tigris zu suchen. Zwei bedeutende Ströme kommen hier
in betracht, der Kerchä und der Kärün. Der Hauptarm des ersteren
kommt aus den medischen Bergen südlich von Hamadän (Agbatana)
und geht in südöstlicher Richtung westlich an Susa vorbei; es ist
der Uknu der Assyrer, der Choaspes der Griechen (altpers. huvaspa
,,der wasserreiche“). Der andere, der Kärün, kommt aus den südli-
cher gelegenen Bergen, vereinigt sich mit dem Dizful Rud und fließt
1 Die Vierzahl der Ströme, für die S. Mowinckel (a. a. O., S. 54f.) Paral-
lelen aus Vorder- und Hinterindien beibringt, mag in der Tat mit der Vorstel-
lung von den „vier Ecken des Himmels“ oder den „vier Ecken der Erde“ Zu-
sammenhängen, die auch den Hebräern bekannt war (Dt 2212 Jes 1112 Hes 72)·
Darnach wird die Erde schematisch in vier Quadranten eingeteilt. In assyri-
scher Zeit gelten als diese vier Erdquadranten Akkad (S), Amurru (W), Su-
bartu (N), Elam (O), vgl. Alfr. Jeremias, Handbuch der altorientalischen
Geisteskultur , 1929, S. 142 ff. Der Erzähler von Gen 210_14 denkt nicht daran,
die vier Ströme auf die vier Erdquadranten zu verteilen, und auch für seine Vor-
lage ist das wohl kaum anzunehmen. Mowinckel identifiziert nach älteren Vor-
gängern die vier Ströme mit vier vom armenischen Gebirge nach den vier Him-
melsrichtungen ausgehenden Strömen: den Pisön mit dem Araxes, den Gichön
mit dem Halys oder Lykos (richtiger wohl umgekehrt S. o.), — andere haben an
den Kyros oder Phasis gedacht, —- und findet in der Erwähnung von Küs eine
Erinnerung an einen älteren Wohnsitz der Kossäer am Südrande des Kaspi-
schen Meeres, dessen Namen er nach Hüsing (Der Zagros und seine Völker, in:
Alter Orient IX, 3—4, 1908, S. 23f.) als Kassi-pi (Mehrzahl von Kassi) er-
klärt. Aber es ist fraglich, ob die Babylonier und Assyrer überhaupt vom Kas-
pischen Meere gewußt haben; in den Annalen der assyrischen Könige findet,
sich kein sicherer Hinweis darauf (vgl. Friedr. Delitzsch, a.a.O., S. 122f.).
Der äußerste Punkt, den sie nach dieser Tüchtung hin nennen, ist der Berg Bik-
ni (der Elburs); wo die Meder erwähnt werden, geschieht es mit fast stereotyper
Betonung ihrer Entferntheit.
2 Vgl. S. 18 f. u. 42 f. Wenn in 2n richtig ha-Chäwilä mit Artikel (Samar.
ohne denselben) zu lesen ist, könnte der Schreiber an die etymologische Be*
deutung des Namens „Sandland“ (von chöl „Sand“) gedacht haben.