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Hans Frhr. von Campenhausen
Er hat sie’s, „als er noch bei ihnen war“, gelehrt, daß, wer nicht arbeiten
will, auch nicht essen solle (3,10). Das erscheint als eine jedermann ein-
leuchtende Sentenz16, deren Geltung offenbar keines weiteren Beweises
bedarf.
Aufs Ganze gesehen, ist der Zweite Thessalonicherbrief unverkennbar
in einer weniger unbesorgten, fast ein wenig gereizten Stimmung ge-
schrieben. Paulus hat ungünstige Nachrichten erhalten (3,8) und scheint
den Einfluß fremder Lehrer zu fürchten, die sich womöglich mit ge-
fälschten Briefen auf ihn selbst berufen könnten (2,2; vgl. 3,17). Es hängt
damit zusammen, daß er die Thessalonicher jetzt nicht mehr so vertrauens-
voll als hinlänglich erleuchtete Schüler anredet, die selbst schon „von
Gott belehrt“ seien (I.Thess. 4,9); er erinnert sie vielmehr mit verstärk-
tem Nachdruck an seine Weisungen und die „Überlieferungen“, die sie
bisher befolgt haben und auch künftig befolgen sollen (2,15; 3,4). Es
wird sehr deutlich, wie stark und selbstverständlich sie an ihren Apostel
gebunden sind und damit auch an den grundlegenden Unterricht, den er
ihnen „im Namen des Herrn Jesu Christi“ erteilt hat und erteilt (3,6;
vgl. 3,12; I.Thess. 4,2). Auf der anderen Seite ist es freilich nicht minder
klar, daß die letzte Rettung und Entscheidung und der eigentliche Halt
nicht in seiner Person gegeben sind; es ist — heißt es immer wieder in
einem bewußten, überschwenglichen Kontrast — der Herr „selbst“, der
die Seinen vor allem Übel schützen, ihre Herzen lenken und festmachen
muß in jeglichem guten Werk (2,16; 3,3.5.16; vgl. I.Thess. 3,11 ff.;
5,23 f.).
Konkret heben sich so auf alle Fälle zwei deutlich bestimmbare Größen
heraus, die für die zu Christus bekehrte Gemeinde maßgebend geworden
sind: die ursprüngliche Verkündigung, die sie bei ihrer Berufung empfan-
gen hat, und die fortwirkende Autorität ihres Apostels und Missionars.
Die Ursätze, die die Thessalonicher gelernt und behalten haben, betref-
fen jedenfalls die wesentlichsten Daten der Christusgeschichte, Tod und
Auferstehung des Herrn, die Leiden dieser Zeit und die nach einem
bestimmten Plan sich schnell nähernde Wiederkunft zu Gericht und Voll-
endung der Welt. Von hier aus fällt der Nachdruck auf bestimmte, nicht
weniger entschieden bezeichnete Regeln des sittlichen Verhaltens und des
kirchlichen Zusammenlebens. Beides, die christologische Botschaft und die
neue Lebensführung, lassen sich dabei nicht trennen, sondern liegen in-
einander: aus dem Christusgeschehen folgt die Berufung der Christen,
und die Pleiligung, zu der sie berufen sind, wartet auf das Gericht und
die kommende Vollendung. Aber gerade in dieser Bezogenheit und höhe-
ren Selbstverständlichkeit der Forderung läßt sich über ihren rechtlichen
Charakter kaum etwas Genaues ausmachen. Die sittlichen Vorschriften
16 Sie steht auch in der Sowjetverfassung von 1918 wie in der von 1936.
Hans Frhr. von Campenhausen
Er hat sie’s, „als er noch bei ihnen war“, gelehrt, daß, wer nicht arbeiten
will, auch nicht essen solle (3,10). Das erscheint als eine jedermann ein-
leuchtende Sentenz16, deren Geltung offenbar keines weiteren Beweises
bedarf.
Aufs Ganze gesehen, ist der Zweite Thessalonicherbrief unverkennbar
in einer weniger unbesorgten, fast ein wenig gereizten Stimmung ge-
schrieben. Paulus hat ungünstige Nachrichten erhalten (3,8) und scheint
den Einfluß fremder Lehrer zu fürchten, die sich womöglich mit ge-
fälschten Briefen auf ihn selbst berufen könnten (2,2; vgl. 3,17). Es hängt
damit zusammen, daß er die Thessalonicher jetzt nicht mehr so vertrauens-
voll als hinlänglich erleuchtete Schüler anredet, die selbst schon „von
Gott belehrt“ seien (I.Thess. 4,9); er erinnert sie vielmehr mit verstärk-
tem Nachdruck an seine Weisungen und die „Überlieferungen“, die sie
bisher befolgt haben und auch künftig befolgen sollen (2,15; 3,4). Es
wird sehr deutlich, wie stark und selbstverständlich sie an ihren Apostel
gebunden sind und damit auch an den grundlegenden Unterricht, den er
ihnen „im Namen des Herrn Jesu Christi“ erteilt hat und erteilt (3,6;
vgl. 3,12; I.Thess. 4,2). Auf der anderen Seite ist es freilich nicht minder
klar, daß die letzte Rettung und Entscheidung und der eigentliche Halt
nicht in seiner Person gegeben sind; es ist — heißt es immer wieder in
einem bewußten, überschwenglichen Kontrast — der Herr „selbst“, der
die Seinen vor allem Übel schützen, ihre Herzen lenken und festmachen
muß in jeglichem guten Werk (2,16; 3,3.5.16; vgl. I.Thess. 3,11 ff.;
5,23 f.).
Konkret heben sich so auf alle Fälle zwei deutlich bestimmbare Größen
heraus, die für die zu Christus bekehrte Gemeinde maßgebend geworden
sind: die ursprüngliche Verkündigung, die sie bei ihrer Berufung empfan-
gen hat, und die fortwirkende Autorität ihres Apostels und Missionars.
Die Ursätze, die die Thessalonicher gelernt und behalten haben, betref-
fen jedenfalls die wesentlichsten Daten der Christusgeschichte, Tod und
Auferstehung des Herrn, die Leiden dieser Zeit und die nach einem
bestimmten Plan sich schnell nähernde Wiederkunft zu Gericht und Voll-
endung der Welt. Von hier aus fällt der Nachdruck auf bestimmte, nicht
weniger entschieden bezeichnete Regeln des sittlichen Verhaltens und des
kirchlichen Zusammenlebens. Beides, die christologische Botschaft und die
neue Lebensführung, lassen sich dabei nicht trennen, sondern liegen in-
einander: aus dem Christusgeschehen folgt die Berufung der Christen,
und die Pleiligung, zu der sie berufen sind, wartet auf das Gericht und
die kommende Vollendung. Aber gerade in dieser Bezogenheit und höhe-
ren Selbstverständlichkeit der Forderung läßt sich über ihren rechtlichen
Charakter kaum etwas Genaues ausmachen. Die sittlichen Vorschriften
16 Sie steht auch in der Sowjetverfassung von 1918 wie in der von 1936.